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Maenner und andere Katastrophen - Roman

Maenner und andere Katastrophen - Roman

Titel: Maenner und andere Katastrophen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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mich stattdessen tapfer einer Wechseldusche, gurgelte minutenlang mit Billes Mundwasser und benutzte ihr Make-up, um die geschwollenen Äuglein optisch zu vergrößern. Bille besaß leider keinen Pickelabdeckstift - wozu auch? Aber meine Pickel waren an diesem Morgen wirklich mal ein nebensächliches Problem.
    Ich taumelte nackt zurück ins Schlafzimmer, bediente mich schamlos mit Billes Unterwäsche und suchte mir seriöse Buchmessenkleider aus ihrem Kleiderschrank, dazu ein Paar flotte, wohlgeputzte Collegeschuhe. Gut, dass wir die gleiche Größe hatten.
    Als ich fertig war, hatten sich die drei Alkoholleichen immer noch nicht gerührt. Ich weidete mich ein paar Sekunden an dem Anblick, der sich mir bot. Bille lag in der Mitte auf dem Rücken und hatte noch einen Schuh an, der minderjährige Grabscher hatte sich an ihre rechte Schulter geschmiegt, und links von ihr lag Burghart, eine Hand auf Billes Bauch. Auch an Burghart war die Nacht nicht spurlos vorübergegangen, und ich war ganz sicher, dass es keine reine Freude sein würde, in seine sonst so blauen Augen zu schauen, wenn er erwachte. Über dem Bett schwebte ein säuerlicher Geruch.
    Nur der Gedanke daran, wie sich Bille nachher fühlen mochte, wenn sie mit dickem Kopf und belegter Zunge zwischen zwei völlig fremden Männern aufwachte, gab mir die Kraft, einigermaßen aufrecht zur Straßenbahn zu wanken, an der richtigen Station auszusteigen und das Gebäude der Erwachsenenbildungsstätte ausfindig zu machen, ohne mich zu verlaufen.
    Den Mund voll Pfefferminz kontra vergärten Genever fragte ich mich von der Pforte bis zu Frau Mehligs Büro durch. Als ich zaghaft an die Tür mit ihrem Namensschild in einem völlig ausgestorbenen Flur im dritten Stock klopfte, war es genau halb neun.
    Nichts tat sich. Ich klopfte energischer.
    Keine Antwort.
    Vorsichtig drückte ich die Klinke runter. Die Tür war abgeschlossen!
    Ich versuchte es bei den anderen Büros auf dem Gang. Überall das Gleiche. Verunsichert hielt ich mir den pochenden Kopf. War vielleicht heute Feiertag? Oder hatte ich gar vier Tage und Nächte geschlafen, und es war wieder Wochenende? Ausgeschlossen.
    Seufzend schob ich mir ein frisches Pfefferminz in den Mund, lehnte mich an die Wand und wartete.
    »Was macht dein Knie, Frau Heibig?«, brüllte eine Frauenstimme vom anderen Ende des Flures.
    Erschrocken riss ich meine Augen auf. Die große Wanduhr gegenüber zeigte jetzt auf einmal 8.47 Uhr an. Ich musste im Stehen eingeschlafen sein!
    »Ach, bei dem Wetter ist es doch immer dick und tut weh«, antwortete eine andere Stimme.
    Ich wickelte schnell ein frisches Pfefferminz aus und schob es mir in den Mund.
    Zwei Frauen kamen den Flur hinunter. Die mit dem dicken Knie blieb stehen und schloss eine Bürotür auf. Die andere ging weiter und kam genau auf mich zu.
    »Also dann, Mahlzeit«, sagte die Frau mit dem dicken Knie und verschwand in ihrem Büro.
    »Auch so was«, schrie die andere über ihre Schulter.
    Sie trug einen mehlfarbenen Pullover, hatte mehlweißes, kurzgeschnittenes, drahtiges Haar und ein mehliges, unfreundliches Gesicht. Folgerichtig musste sie Frau Mehlig sein.
    »Guten Tag«, sagte ich und streckte ihr meine Hand hin. »Judith Raabe von Asche-Zeitarbeit.«
    Die Frau musterte mich von oben bis unten.
    »Mein Gott«, sagte sie dann und schloss ihre Bürotür auf.
    Drinnen klingelte das Telefon. Die Frau warf ihre Handtasche auf den Schreibtisch und nahm den Hörer ab. Ich blieb unsicher auf der Schwelle stehen.
    »Mehlig«, schrie sie ins Telefon. Schreien schien ihr normaler Umgangston zu sein. »Mahlzeit, Herr Hinz. Ja, das kann gut sein. Heute ist hier wieder mal der Teufel los. Seit acht Uhr früh sind wir hier am Rotieren. Ja, ja, wem sagen Sie das? Darüber möchte ich auch gern mit Ihnen sprechen.«
    Die Mehlig warf mir einen Blick zu und machte eine unwirsche Handbewegung, aus der ich schloss, dass es ihr lieber war, wenn ich auf dem Flur wartete. Eingeschüchtert zog ich mich zurück, bis das Telefonat beendet war.
    Inzwischen schienen sich auch die anderen Büros belebt zu haben. Aus dem Zimmer nebenan lächelte mir ein sommersprossiges Mädchen zu. Ich lächelte erleichtert zurück. Wenigstens ein freundliches Gesicht.
    Nach zehn Minuten öffnete die Mehlig wieder ihre Tür.
    »Kommen Sie mit, Frau Dings«, schrie sie.
    »Raabe, Judith Raabe.«
    »Ich merke mir grundsätzlich nicht die Namen von Aushilfen«, sagte die Mehlig. »Ich brauche meinen Kopf für wichtigere

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