Männer und der ganz normale Wahnsinn
Geschäfte geht, wo wir ihr etwas besorgen werden, was die Leute nicht vor Lachen zusammenbrechen lässt. Aber Nonna hatte nie im Leben die Chance, eine Halbwüchsige zu sein. Aufgewachsen in einem winzigen Dorf in Italien mit strengen, gottesfürchtigen Eltern, hätte sie so etwas nicht einmal anschauen dürfen, vorausgesetzt, dass es damals solche Klamotten schon gegeben hätte.
Sie spielt nur herum, das ist alles. Und sie streitet mit mir so, wie sie mit ihrer Mutter niemals streiten konnte. Zwar ist das nicht meine Vorstellung von Spaß, aber meine Güte, schließlich ist sie achtzig. Wie könnte ich mich da aufregen?
Jetzt hält sie ein glitzerndes Tank Top in die Höhe. „Wie findest du das?“
„Darunter kann man keinen BH anziehen, Nonna.“
„Und?“
„Dann würden deine Brustwarzen unten rausgucken.“
Sie starrt ein paar Sekunden lang ihr Spiegelbild an. Dann hängt sie das Top seufzend wieder zurück und schaut mich an. „Ich gehe dir auf die Nerven, si?“
„Darauf kannst du wetten. Komm jetzt. Lass uns in den dritten Stock gehen.“
Wie erwartet folgt sie mir kleinlaut – wurde aber auch Zeit, dass das alte Mädchen mal einen Gang zurückschaltet –, und innerhalb von einer Viertelstunde haben wir ein hübsches zweiteiliges Kleid mit hellen, tropischen Blumen ausgesucht. Eines, unter dem sie dieses Konstruktionswunder anziehen kann, das sich BH nennt.
Sie grinst mich im Spiegel in der Umkleidekabine an. „Ich sehe heiß aus, nein?“
„Nonna, die anderen werden tot umfallen.“
„Per Dio.“ Sie schüttelt mit weit aufgerissenen Augen den Kopf. „Du solltest so was nicht sagen. Die meisten Leute auf diesem Fest stehen mit einem Bein bereits im Grab.“
Als wir das Kaufhaus verlassen, nimmt sie meinen Arm und zeigt mit dem Kinn auf den Schönheitssalon. „Ich finde, ich sollte vielleicht meine Haare schneiden lassen.“
Ich schnappe nach Luft. Nonnas Haar reicht ihr bis zur Hüfte, das war schon immer so. Soweit ich weiß, ist es niemals von einer Schere berührt worden. „Ich könnte das auch machen, weißt du.“
Aber sie schüttelt den Kopf. „Ich war noch nie in einem Schönheitssalon“, sagt sie bedauernd, und auch jetzt verstehe ich wieder. Nur dieses Mal spüre ich eine Dringlichkeit, die mir vorher nicht aufgefallen ist. Sie ist achtzig Jahre alt. Alles, was sie gerne tun würde und noch nicht getan hat, sollte sie verdammt noch mal schnell tun.
„Mal sehen, ob sie noch Termine haben“, sage ich. „Und was soll’s, vielleicht können sie ja auch bei mir ein paar Zentimeter von dem Vogelnest abschneiden, wo ich schon mal hier bin.“
Einige Zeit später stehen wir vor dem einzigen Coffeeshop im Umkreis von zehn Häuserblöcken, in den Nonna willens ist, einen Fuß zu setzen, und warten darauf, einen Platz zugewiesen zu bekommen. „Gib mir noch mal deinen Spiegel“, sagt sie mit glänzenden Augen.
Lächelnd wühle ich in meiner Tasche nach dem Handspiegel. Statt nur ein paar Zentimeter abschneiden zu lassen, hat sie jetzt nur noch ein paar Zentimeter übrig. Und sie sieht absolut toll aus. Wie eine italienische Elfe. Man sieht die Ohren und alles. Wer hätte gedacht, dass sie all die Jahre lang solche wunderschönen Ohren unter ihrem Haar versteckt hat? Wirklich, sie sieht nicht einen Tag älter aus als fünfundsiebzig. Die Frau in dem Salon hat auch darauf bestanden, ihre Augenbrauen zu zupfen und ein wenig Rouge auf ihre Wangen zu geben. Die Verwandlung ist wirklich erstaunlich.
„Ich sehe fast so sexy aus wie du“, sagt sie.
Oh, klar. Ich habe mir auch mein Haar abschneiden lassen. Aber ich sehe immer noch wie ein Pudel aus, wenn auch wie ein geschorener. Mit einem aber wirklich schönen Nacken.
„Hier entlang“, sagt eine Bedienung mit viel zu langen Wimpern und führt uns nach hinten an einen schlecht beleuchteten Tisch. Und das nicht eine Sekunde zu früh. Mit einem großen Seufzer schließe ich die Augen, während meine Beine langsam registrieren, dass sie mich nicht länger durch die Gegend tragen. Gott. Ich hatte Orgasmen, die sich nicht halb so gut angefühlt haben.
Meine Hand berührt etwas. Ich öffne ein Auge und erblicke eine zusammengefaltete Post, die jemand auf dem Stuhl vergessen hat. Mit mildem Interesse nehme ich sie in die Hand und überfliege den Artikel vor mir.
„Also“, sagt Nonna und gibt mir den Spiegel zurück. „Was wirst du zu dem Fest anziehen?“
„Keine Ahnung“, antworte ich gedankenlos und keuche dann: „Oh
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