Männer und der ganz normale Wahnsinn
nur dein Talent, wenn du Wandfarben aussuchst.“
Ich lächle matt. „Himmel, ich habe vermutlich seit zwei Jahren nichts mehr entworfen.“
„Nun, das solltest du aber.“ Sie lässt den Rauch aus ihrem Mund entweichen und wirft die Kippe in den Rinnstein. „Willst du für den Rest deines Lebens für andere arbeiten?“
„Vergiss es, Carole. Ich bin nicht dafür gemacht, das Leben einer hungernden Künstlerin zu führen.“
„Feigling.“
„Aber ein Feigling, der zu essen hat.“
Obwohl das nach dem heutigen Tag vielleicht gar nicht mehr stimmt, und deswegen schweigen wir beide nun auch eine Zeit lang. Dann flüstert Carole: „Das war für dich keine besonders tolle Woche.“
Das ist eine ziemliche Untertreibung.
„Obwohl …“, sie blickt wieder auf die Kreidezeichnung und beginnt zu grinsen, „… ich vermute, Brices Woche war schlimmer.“
Ich nicke.
Aus Gründen, die ich mir überhaupt nicht erklären kann, beschließt Nick, mich als Letzte zu befragen. Nachdem die Polizei entschieden hat, dass das komplette Gebäude als Tatort angesehen werden muss – die Firmenräume waren im Souterrain, im Erdgeschoss und im ersten Stock, Brice selbst wohnte in einem todschicken Apartment im zweiten Stock –, mussten wir uns alle zum Verhör ins Polizeirevier begeben. Ich war noch nie in einem Polizeirevier und hoffe inständig, dass ich dieses Privileg auch nie mehr haben werde. Was die Einrichtung angeht, reicht es zu erwähnen, dass es dort genauso aussah, wie man es aus dem Fernsehen kennt. In anderen Worten, sie ist es nicht wert, beschrieben zu werden.
Es ist jetzt früh am Nachmittag. Ich habe die unangenehme Pflicht, die Termine mit Kunden abzusagen, bereits hinter mir – allerdings habe ich nicht den wahren Grund genannt, sondern nur einen persönlichen Notfall angedeutet, so, wie Nick es angeordnet hat. Und es war ja auch nicht direkt eine Lüge, denn auch wenn diese Situation mit Sicherheit eine größere Auswirkung auf Brice hat als auf mich, so befand ich mich trotzdem definitiv in einer echten Notlage.
Mein Magen knurrt – den Milchkaffee habe ich schon lange getrunken, allerdings gab es dazu kein Frühstück. Carole ist jetzt bei Nick. Ich entscheide, dass die Welt nicht untergehen wird, wenn ich schnell nach unten und zum Restaurant an der Ecke renne, um mir ein Sandwich zu holen. Aber der Sergeant hinter dem Tisch sieht das anders.
„Oh nein, Lieutenant Wojowodski hat gesagt, dass Sie hier bleiben müssen, bis sie dran sind.“
Ich seufze. „Kann ich mir dann wenigstens etwas bestellen?“
Sein Gesicht legt sich einen Moment in Falten, dann antwortet er: „Ich schätze schon.“ Er schiebt ein paar zerknitterte fotokopierte Speisekarten in meine Richtung. „Hier. Bitte schön.“
Ich wähle ein Restaurant in der Nähe aus und bestelle Roggensandwich mit Roastbeef und Senf, dazu eine Cola Cherry, dann beschließe ich, auch für Nick ein Sandwich und einen Kaffee zu bestellen. Warum, weiß ich selbst nicht. Das ist einfach so eine Eingebung. Und natürlich erscheint Carole genau in dem Augenblick, als ich auflege, und Nick bittet mich mit einer Handbewegung hinein.
„Ich sage Bescheid, wenn Ihr Essen da ist“, ruft der Sergeant mir nach, und ich nicke ihm zu.
„Setz dich“, sagt Nick, als ich eintrete. Auch hier sieht alles furchtbar langweilig aus. Tisch, ein paar Stühle, ein einseitig verspiegeltes Fenster. Zumindest hat er eine anständige Klimaanlage, wofür ich sehr dankbar bin.
Nick lässt sich hinter seinem Schreibtisch nieder und durchblättert ein paar Seiten seines Notizblocks. Ich runzle die Stirn.
„Du siehst fertig aus“, sage ich. Er reißt den Kopf in die Höhe. Dann legt er eine Hand an die Wange und lächelt schief. „Ich bin heute um halb sechs angerufen worden. Eigentlich hätte ich nicht vor acht anfangen müssen, aber wegen der Sommerferien und so sind wir gerade etwas unterbesetzt. Und dabei bin ich erst gegen halb vier, vier eingeschlafen.“
„Warst du wegen eines anderen Falls unterwegs?“
Nach einer viel zu langen Pause antwortet er: „Nein.“
Hitze steigt in meine Wangen. „Oh“, murmele ich und bin nicht in der Lage, die Bilder, die vor meinem geistigen Auge erscheinen, aufzuhalten. Also räuspere ich mich und sage: „Stehe ich diesmal ernsthaft unter Verdacht?“
Nicks Miene wird ausdruckslos. „Nicht mehr als jeder andere auch, der für Fanning gearbeitet hat. Hier handelt es sich nur um vorläufige Ermittlungen. Wir sammeln
Weitere Kostenlose Bücher