Maenner weinen nicht
beginne ich langsam, mich mit meinem Alter anzufreunden. Lange habe ich ignoriert und verdrängt, wie die Jahre an mir vorbeiziehen. Das Wegsehen fällt mir leicht, schließlich ist meine zweite Frau 20 Jahre jünger als ich. Doch nun kann ich es langsam annehmen und sogar aussprechen: Ja, ich bin älter geworden. Und ja, ich brauche jetzt sogar ein Hörgerät. Es fällt mir indes immer noch schwer, meine Rolle als Großvater zu finden. Für meine neun Enkel bin ich ein alter Mann; mit meiner Krankheit können sie nichts anfangen. Wenn wir uns sehen, dann wünschen sie sich, dass ich für sie da bin, sie wollen mit mir rumtoben oder auf Bäume klettern. Dass das nicht mehr so geht, ist an sich nicht schlimm – ich muss nur noch lernen, es zu akzeptieren.«
Melancholisch bis ins hohe Alter
Wie Frank Wedel (Name geändert) geht es vielen älteren Herren: Etwa jeder zehnte Mann über 60 – und damit weitaus mehr als in jüngeren Jahren – hat eine behandlungsbedürftige Depression. Und trotzdem diagnostizieren Ärzte die Erkrankung in dieser Altersgruppe noch viel seltener, als es ohnehin schon der Fall ist.
Das liegt zum einen daran, dass die Depression sich auch bei älteren Männern mitunter untypisch durch Alkoholmissbrauch, sozialen Rückzug oder aggressive Feindseligkeit äußert. Zum anderen büßen Körper und Geist im Alter nach und nach ihre Kraft ein, sodass es selbst Fachleuten schwerfällt, zwischen normalem Alterungsprozess und Depression zu unterscheiden. Depressive ältere Menschen beispielsweise können sich Namen und Verabredungen, frühere Begebenheiten oder Zukunftspläne schlechter merken, sie sind unkonzentriert und fahrig, schnell erschöpft und rasch müde. Zudem sind sie missmutig, pessimistisch, lustlos und verkriechen sich. Und wieder stellt sich die entscheidende Frage: Noch normal oder schon depressiv?
»Oft äußern sich depressive Verstimmungen als psychosomatische Beschwerden, drückt sich also das seelische Leid in körperlichen Befindlichkeiten aus«, erinnert Depressionsexperte Manfred Wolfersdorf. Unklare Schmerzen, ein diffuses körperliches Unwohlsein, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust lassen den Arzt zunächst nach organischen Ursachen forschen, statt sich intensiver mit der Gemütsverfassung seiner Patienten zu beschäftigen.
Und auch die Männer selbst tragen dazu bei, dass ihre Depression unbehandelt bleibt: Die Betroffenen wissen gekonnt zu kaschieren, wenn sich ihr Gemüt verdunkelt. Lieber betonen sie ihre körperlichen Beschwerden und verdrängen ihre mentalen Probleme, solange es geht. Trauer und Tränen zeigt der Senior also selten. Eine Depression im Alter müsse also nicht zwangsläufig mit einem niedergeschlagenen Eindruck einhergehen, sagt Wolfersdorf.
Doch warum sind Depressionen mit fortschreitendem Alter überhaupt häufiger? Einige körperliche Erkrankungen können selbst Depressionen zur Folge haben, etwa jene von Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse und Schilddrüse ebenso wie von Herz und Lunge sowie bestimmte Infektionen. Ebenso gibt es nebenwirkungsreiche Medikamente, Wirkstoffe also, die eine Depression auslösen können oder diese verstärken. Tabletten gegen Herz- und Kreislauferkrankungen beispielsweise verändern die Konzentrationen von Neurotransmittern und können so auch den Hirnstoffwechsel durcheinanderbringen. Auch blutdrucksenkende Medikamente, manche Antibiotika und eine Vielzahl weiterer Arzneimittel können depressiv machen.
Falls Sie also das Gefühl haben, dass Ihre Stimmung stark schwankt, seitdem Sie körperlich krank sind und regelmäßig Medikamente einnehmen, sollten Sie gemeinsam mit Ihrem behandelnden Arzt überlegen, inwieweit Ihre körperliche Konstitution mit Ihrer aktuellen Gemütsverfassung zusammenhängen könnte. Erzählen Sie ihm von Ihren beobachteten Veränderungen! Sollte tatsächlich eine Verbindung bestehen, bilden sich die Symptome oft innerhalb von Tagen oder Wochen nach dem Absetzen der Wirkstoffe oder bei erfolgreicher Therapie der auslösenden Erkrankung zurück.
Tatsächlich ist der ältere Mann ohnehin anfälliger für Krankheiten: Nicht nur Herz, Kreislauf, Magen und Darm, Wirbelsäule und Gelenke altern. Auch das zentrale Nervensystem ermüdet mit den Jahren. Konzentration, Erinnerungsvermögen und Sinneswahrnehmungen lassen mit der Zeit nach. Die männliche Seele ist immer weniger widerstandsfähig. »Der Puffer zwischen Gesundheit und Krankheit schwindet«, erklärt Wolfersdorf. »Der Weg in die
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