Maenner weinen nicht
fallengelassen zu werden.
»Du bist doch eigentlich gesund,
dein Herz schlägt, du hast genug Geld,
und trotzdem geht es dir beschissen.«
Hartmut Engler, Sänger der Band PUR
Erfolgreiche Rock- und Popsänger seien besonders oft depressiv, autoaggressiv und selbstmordgefährdet. Davon ist der Nervenarzt Borwin Bandelow von der Universität Göttingen überzeugt. Und er geht noch weiter: »Ihre diversen Persönlichkeitsstörungen sind nicht entstanden, weil sie berühmt sind. Diese Menschen wurden berühmt, weil sie eine Persönlichkeitsstörung haben oder hatten«, lautet die provokative These des Wissenschaftlers, die er in seinem Buch Celebritie s ausführlicher darlegt.
Menschen mit Persönlichkeitsstörungen denken, fühlen und handeln so, dass es ihnen schwerfällt, sich im normalen Leben zurechtzufinden. Beispiel Robbie Williams: Seine Eltern trennten sich, als er drei Jahre alt war. Er hatte schlechte Schulnoten und galt unter den Lehrern als Klassenkasper. Mit 14 Jahren flog er wegen Alkohol- und LSD -Missbrauchs von der Schule, also lange bevor er mit der Boygroup Take That berühmt wurde. Schon früh experimentierte Williams mit Heroin und Kokain. Nach einer steilen Karriere als Sänger sorgten genau diese Substanzen für sein erstes berufliches Aus: 1995 musste Robbie Williams Take That wegen seiner Party- und Drogenexzesse verlassen.
Hartmut Engler, der Sänger der Band PUR, fällt Anfang 2008 in ein tiefes Loch, nachdem sich die Band eine Erholungspause verordnet hat. Engler kann mit der freien Zeit, die er plötzlich hat, nichts anfangen. Wo vorher Konzerte und Promo-Termine, Studioaufnahmen und Proben einen Tagesrhythmus vorgaben, ist auf einmal Leere. In einem Interview mit SpiegelTV spricht er von dem vernichtenden Gefühl, nichts wert zu sein, nicht gebraucht zu werden und keinen Sinn mehr im Leben zu sehen. Es habe für ihn nichts mehr gegeben, worauf er sich noch freuen konnte. So greift er zur Flasche, »ist permanent, über Wochen alkoholisiert«. Engler schlurft nur noch im Bademantel durch das Haus, kommt kaum aus dem Bett, geht weder ans Telefon noch an die Tür. Im Sommer 2008, nachdem er sich über Wochen und Monate zu nichts aufraffen konnte, bricht er vollends zusammen. In einer Klinik tastet sich Engler wieder an einen normalen Tagesablauf heran, bei dem man morgens aufsteht, einkaufen geht und Menschen trifft. Die Gespräche mit den »durchschnittlichen« Mitpatienten helfen ihm dabei. Engler schafft es zurück auf die Bühne; er brauche den Jubel des Publikums, um sich glücklich und am Leben zu fühlen. Seine Erfahrungen mit den Depressionen, die Rauschzustände durch den ständigen Alkoholkonsum verarbeitet er danach in seinen Songs.
Doch wie kommt es dazu, dass Künstler wie Engler irgendwann abstürzen? Vielen von ihnen mangele es an Glückshormonen, glaubt Promiexperte Bandelow. Sie bräuchten viel stärkere Auslöser, um sich gut und zufrieden zu fühlen. Das könne die Aufmerksamkeit tausender Menschen sein, exzessiver Sex oder harte Drogen. »Stars setzen unbewusst alle Hebel in Bewegung, um diesen Hormonmangel auszugleichen«, erklärt Bandelow. Hollywoodgrößen wie Robbie Williams brauchen eben 100000 Zuschauer, um Glückshormone auszuschütten und so ein befriedigendes Gefühl zu erleben.
Erst dieser Kick und die damit verbundene Hormonschwemme befreien ihn von seinen Ängsten und lassen die depressiven Gefühle in den Hintergrund treten. Ihr Anderssein treibt die Stars also nicht nur zu künstlerischen Höchstleistungen. Ihre außergewöhnliche Begabung, das Fokussieren auf eine Sache, für die sie brennen, hilft ihnen auch, ihre psychischen Probleme in Schach zu halten. Dadurch bekommen sie den so dringend notwendigen Halt.
Auch Kurt Cobain ist wahrscheinlich Opfer einer unbehandelten Depression oder zumindest einer Borderline-Störung geworden. Dem Frontmann der in den 1990er Jahren extrem erfolgreichen Band Nirvana fehlte es wohl ebenso an Glückshormonen wie Robbie Williams. Dieser Mangel trieb ihn auch dazu an, mit Grunge eine bis dato völlig neue Musikrichtung zu entwickeln. Vielleicht, so Bandelow, kann Musik mit Gänsehaut-Faktor nur jemandem gelingen, der psychische Krisen durchlebt und durchlitten hat. Schon Aristoteles formulierte es vor fast 2500 Jahren: Keine Poesie ohne Melancholie. Cobain war zudem schwer alkohol- und drogenabhängig. Heroin, das er regelmäßig konsumierte, aktiviert – genau wie Kokain und Morphin – die Belohnungszentren im
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