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Maenner wie Tiger

Maenner wie Tiger

Titel: Maenner wie Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Catto
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zusammen, um schärfer sehen zu können. Da fiel ihm etwas auf: Der Bohrturm stand ein wenig schief. War ein Betonsockel geborsten? War eine Stütze verbogen? War es Zufall? Der Mann, den sie Harry nannten, der Boß, saß weiterhin einsam daneben.
    Und die Männer beachteten ihn weiterhin nicht. Haß kann sich auch im Leerraum des Schweigens ausdrücken, dachte der Oberst. Er deutete mit dem Kopf zu dem Alten hin, sagte gleichgültig zum Schriftführer: »Rufen Sie mich, wenn er bereit ist«, und ging hinaus in die Sonne.
    Er schritt den Umkreis des Lagers ab, sah sich die Männer an und musterte dabei jedes Gesicht, ob nicht der eine oder der andere unaufgefordert etwas zu sagen hätte, aber aller Augen starrten gebannt zu Boden, als gäbe es Gold zu suchen. Der Oberst dachte: Sie werden hinter meinem Rücken nur Unflätiges über mich sagen – aber ich mache sie fertig!
    Zuletzt gelangte er zum Bohrturm. Zu dem Mann namens Harry, der dort saß, sagte er leutselig: »Heiß ist’s!«
    Der sah auf, doch nur bis zu den glänzenden Stiefeln vor sich, und sagte nichts.
    »Bleibt die Konversation einseitig, Senhor?«
    Der Blick des Mannes glitt über die Stiefel hinauf, heftete sich auf die funkelnden Orden, zuletzt auf das Gesicht des Obersten, lange und eindringlich. Noch immer sagte er nichts.
    »Glauben Sie mir, ich will Ihr Freund sein.«
    »Warum?«
    »Ich lege Wert darauf, ich weiß nicht, warum. Vielleicht, weil anscheinend alle gegen Sie sind und der Mensch doch wenigstens einen Freund haben sollte.«
    »Zu liebenswürdig von Ihnen.«
    »Oh, bitte sehr.«
    Der Oberst setzte sich nebenan auf einen Betonsockel. Er lachte. »Nun haben wir wenigstens das Eis gebrochen.«
    »Ich habe nichts zu sagen.«
    »Ich könnte Sie dazu zwingen.«
    »Versuchen Sie’s!«
    »Nein. Es wäre verlorene Zeit. Sie sind nicht von der Art, die sich zwingen läßt.« Moskitos, angezogen von den glänzenden Knöpfen, umwölkten ihn in Schwärmen. Er schnitt mit der Hand mehrmals durch die Luft, die Moskitos abzuwehren, aber die funkelnde Bronze lockte nur noch mehr von ihnen herbei. Er erduldete sie und ließ sich stechen. »Wie konnten Sie dieses scheußliche Klima so lange ertragen?«
    »Durch meinen Beruf.«
    »Jetzt haben Sie ihn nicht mehr.«
    »Nein.«
    »Sie haben überhaupt nichts mehr, nicht wahr? Keine Stimme, die für Sie spricht. Nicht einmal Ihre eigene. Doch« – fairerweise mußte es der Oberst zugeben –, »eine haben Sie: die des Alten.« Er suchte in dem sonnenverbrannten, kantigen Gesicht nach einer Reaktion.
    »Er scheint Sie sehr gern zu haben.«
    Der Mann namens Harry sah rasch auf.
    »Aber er wird nicht mehr lange für Sie sprechen können.«
    »Wie lange noch?«
    »Vielleicht Minuten, vielleicht Stunden. Wie lange – das liegt in Gottes Hand.«
    »Armer Juan!«
    »Auch Sie sind arm. Aber sind wir doch realistisch«, sagte der Oberst aufmunternd. Er glaubte eine Art rapport zu diesem Mann gefunden zu haben. »Ich versuche, mit Ihnen zu fühlen. Erzählen Sie mir davon! Sie vergeben sich nichts.«
    »Ich habe alles vergessen.«
    »Lassen Sie mich Ihr Gedächtnis wachrütteln! Was taten Sie, daß diese Männer zu Bestien wurden?«
    »Fragen Sie sie selbst!«
    »Schauen Sie sie an! Sie sind feindselig wie Indianer. Könnten sie Sie zu Tode spucken, dann hätten Sie einen halben Liter Speichel im Gesicht.«
    Schreck sprang ihm in die Augen. Er wandte sich ab.
    »Noch immer leer im Hirn?« forschte der Oberst weiter.
    »Ja.«
    »Müssen Sie denn diese Kerle schützen? Sicher taten Sie nur Ihre Pflicht. Ich bin Soldat, und ich weiß, wie grausam Pflicht sein kann.«
    Der Mann lachte, er lachte zum erstenmal, aber er lachte humorlos. »Das stimmt.«
    »Hier ist Schreckliches geschehen. Das müssen Sie doch zugeben.«
    »Ja. Auch das stimmt.«
    »Eine solche Metzelei! Unentschuldbar! Wenn ein ganzes Camp den Verstand verliert, dann muß doch etwas vorgefallen sein, etwas Entscheidendes, nicht?« Nun, dachte der Oberst, noch rasch einen Pfeil unter die Haut. »Die Männer mochten Sie doch, anfangs wenigstens, nicht wahr?«
    »Gewiß.«
    »Sie wollen also noch immer nicht sprechen?«
    »Vielleicht doch? Am Sankt Nimmerleinstag!«
    »Ach, ein Witz! Sie haben also das Lachen nicht verlernt«, sagte der Oberst und klopfte ihm ermunternd auf die Schulter. »Es hat Sie nicht gebrochen, Sie sind noch ein ganzer Mann.«
    Seine Hinterseite fühlte sich unbequem, er selbst aber bemerkte jetzt, daß der Betonsockel, auf den er

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