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Maenner wie Tiger

Maenner wie Tiger

Titel: Maenner wie Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Catto
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sich gesetzt hatte, nur aus Trümmern bestand. Er sah nach oben, sah, daß die Stütze verbogen war und, durch diesen Blickwinkel verstärkt, daß sich der Bohrturm seitwärts neigte. »Wieso ist er schief? Termiten?« Mit einemmal hatte er das Gefühl, dem Mann koste es große Anstrengung, ein blankes Gesicht aufzusetzen.
    Eigentlich war es ein Schuß ins Dunkel, als er fragte: »Ist dort oben etwas vorgefallen?« Wieder bemerkte er, wie sich der andere bemühte, gleichgültig dreinzuschauen. Nur ein nervöses Zucken, so deutlich wie ein Tintenpatzen auf einem sauberen Papier, verzog ihm die Lippen. Touché , sagte sich der Oberst, etwas ist also dort oben geschehen. Neugierde quälte ihn, beunruhigt starrte er hinauf, hoch, hoch hinauf zur schwindelerregenden Höhe des Turms, hinauf zur Plattform. Obschon er Soldat war und daher vor nichts zurückschrecken sollte, fürchtete er sich unsagbar, von hoch oben in die Tiefe blicken zu müssen.
    Leichter Schweiß brach ihm aus, dennoch sagte er: »Entschuldigen Sie mich!« Dann setzte er den Fuß auf die unterste Sprosse der Stahlleiter und begann, sie emporzuklettern.
    In den Himmel zu kommen wird mir nie gelingen, dachte er, indes Schweiß seine tappenden Hände näßte: mich wird man nie mit Engelsflügeln ausstatten können. Er sah hinunter, sah den Horizont sich drehen. Nach den ersten zwanzig Sprossen kannte er den Trick: Das beste war, jede Sprosse einzeln an den Augen vorbeizulassen, immer nur eine zu nehmen, dann erst die nächste, die Füße übervorsichtig aufzusetzen, nie hinaufzuschauen und, was wichtiger war, nie hinunterzuschauen. Auf diese Weise brachte er den halben Weg hinter sich. Er holte tief Atem. Ich bin für die Hölle bestimmt, dachte er pessimistisch, ich bin ein erdgebundener Mensch. Dennoch kletterte er weiter, höher und höher, und als er die Plattform erreichte, lehnte er sich an das Geländer, durchnäßt, als wäre er aus dem Wasser gestiegen, schloß seine Augen und öffnete sie dann bloß zu einem Spalt, je eines immer.
    Der Horizont verblieb dort, wo er hingehörte, verblieb eben, wie Gott es eingerichtet hatte. Jetzt wußte er, es würde ihm nicht übel werden, vorläufig jedenfalls nicht. Lange und verzückt blickte er um sich, so sehr überwältigte ihn das Gefühl der Höhe. Das Camp war nicht größer als ein Kratzer im Urwald. Der spannte sich über das Land, grenzenlos, weiter als das Auge reichte, grün, sehr grün, wie Federn gefurcht. Der Himmel war eigentümlich weit, blau im Zenit, mit perlfarbenem Dunst gegen den Rand zu, wo man in weiter Ferne die graue Masse des Vorgebirges entdecken konnte. Dieser Urwald! Er setzte einen in Angst! Nur aus der Vogelperspektive konnte man erkennen, wie endlos er war. Da und dort glitzerte ein Fluß. Die Männer drunten, die zu ihm heraufblickten, waren zu Zwergen geschrumpft. Er spähte senkrecht hinunter zu dem Mann namens Harry. Das aber war zu viel. Ein Warnzeichen. Die Sonne brannte ihm auf den Kopf, sein Käppi hatte er beim Aufstieg verloren.
    So rasch er konnte, ging er in eine Ecke der Plattform und übergab sich.
    In diesem mißlichen Augenblick sprang ihm etwas in die Augen. Er langte danach. Ein Damenschuh. Einer nur. Welche Frau, um Christi willen, war hier heroben gewesen? Und warum nur ein Schuh? Dann sah er noch etwas: verstreute braune Perlen, nur wenige, und als er sie aufheben wollte, rollten einige über den Rand. Solche Perlen kannte er. Sonst sah er nichts, nur einen roten Fleck auf dem Geländer, der Farbe sein mochte oder auch Blut, verblaßt und eingetrocknet durch die Sonne.
    Er brauchte doppelt so lange hinunter. Er erreichte den Boden und scharrte mit den Füßen, als freute er sich über dessen Festigkeit, wischte sein Gesicht ab, dann seine Finger und ging zu dem Mann, der noch immer neben dem Betonsockel saß.
    »Wer besteigt den Bohrturm?« fragte der Oberst. Aber der Mann hatte den Damenschuh bereits gesehen, in seinem Gesicht blitzte es auf. Nun braucht er mir nichts mehr zu sagen, dachte der Oberst. Was ich wissen will, sagte er eben.
    »Warum?«
    »Muß ich die Antworten aus Ihnen herausquetschen?«
    »Bohrarbeiter … Monteure …«
    »Sonst niemand?«
    »Ich gehe manchmal hinauf.«
    »Haben Sie vielleicht dieses Andenken hinterlassen?« Der Oberst sah, daß der Schuh, obschon billig, nur einem sehr kleinen Fuß passen konnte, und er sah auch, warum dessen Besitzerin ihn fortgegeben hatte: er war ohne Absatz. »Nie hätte ich bei diesen rohen Kerlen

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