Maennerfallen - Ein Mira-Valensky-Krimi
vorschlagen. – Aber braucht man wirklich zwei Stunden für einhundertdreißig Kilometer?
Olbia scheint so etwas wie eine zu schnell gewachsene Kleinstadt zu sein. Eine Mischung aus Tourismusindustrie und mediterraner Idylle. Ich konzentriere mich darauf, die richtigen Abzweigungen zu kriegen, freue mich über die blühenden Riesenoleander und bin schließlich auf der Autobahn. Dicht bewaldete Berghänge auf der einen, Küstenlandschaft auf der anderen Seite. Schön langsam stellt sich bei mir so etwas wie Urlaubsfeeling ein. Ach was, ich werde das Interview schon kriegen. Und wenn nicht, dann mache ich eben eine Reportage über den internationalen Bestsellerautor und mutmaßlichen Sexattentäter bei einem Festival in einem kleinen Bergdorf. – Wie man ihm hier wohl begegnet?
Gavoi dürfte so etwas wie ein Geheimtipp unter den italienischen Literaturveranstaltungen sein. Es sind ziemlich bekannte Autoren dabei. Viele sind aus Italien, gut ein Drittel kommt aus anderen Teilen Europas, auch Tess Gerritsen, die Thriller-Bestsellerautorin aus den USA, ist angekündigt. Lyrik, experimentelle Literatur, Erzählungen, Sachbuch, Krimis: alles bunt gemischt, dazu Diskussionen über gesellschaftspolitische Themen und ihre literarische oder journalistische Umsetzung. Über „Schreiben über die Krise“ soll geredet werden, und eine der Diskussionsrunden heißt überhaupt bloß „Sull’inadeguatezza“ – Über die Unzulänglichkeit. Zum Glück haben sie im Internet elektronische Wörterbücher. Und dann gibt’s morgen eben eine Veranstaltung mit Thomas Pauer. „‚Sei ein MANN!‘ – Mondo degli uomini?“ – Welt der Männer? Samt Übersetzer. Offenbar kann Pauer auch nicht Italienisch. Oder zumindest nicht ausreichend. Die Veranstalter haben ihn sicher lange vor den Ereignissen der letzten Wochen eingeladen. Ob es ihnen recht ist, dass da einer sitzt, der schon bald wegen versuchter Vergewaltigung vor Gericht stehen dürfte? Die Neugierigen werden sich jedenfalls drängen. Immerhin: Sie haben ihn nicht ausgeladen.
Ich fahre durch eine Gegend mit Weinhängen, Äckern, kleinen Dörfern. Die Berge rundum sind freundlich bewaldet, hin und wieder kann man das Meer sehen. Ich habe mir das Landesinnere von Sardinien viel kahler und wilder vorgestellt. Ich überlege, ob ich nicht ein paar Tage Urlaub dranhängen könnte. Mein Rückflug ist noch nicht fix gebucht, ich weiß ja nicht, wann ich das Interview bekomme. Ich könnte es in dem Bergdorf schreiben – ich hoffe, die haben dort Internet –, schicken und dann an den Strand fahren. Einige Tage nur für mich. Eine reizvolle Vorstellung. Karl Simatschek ist gestern abgereist, schade. Literaturfestival und Rechtsmedizinerkongress. Die Insel ist eben ein guter Platz, um den Sommeranfang so oder so zu gestalten. Es hat über dreißig Grad, die Klimaanlage meines Kleinwagens arbeitet auf Hochtouren. Ich flitze dahin, nicht besonders viel Verkehr. Auf der linken Seite eine Wiese mit unzähligen Schafen und Ziegen. Zu schade, dass ich mich in erster Linie auf die Straße konzentrieren muss. Die Insel gefällt mir, sie gefällt mir sogar sehr.
Nach rund einer Stunde nehme ich die Abzweigung Richtung Nuoro. Provinzhauptstadt. Ich hatte nicht viel Zeit, aber ein wenig habe ich mich schon vorbereitet. Ich dürfte im selben Hotel untergebracht sein wie Thomas Pauer. Einige Kilometer außerhalb von Gavoi. Allzu viele bequeme Übernachtungsmöglichkeiten wird es im Bergland Sardiniens nicht geben, nehme ich einmal an. Ich habe Glück gehabt. Unsere Sekretärin hat mit den Veranstaltern geredet – sie kann hervorragend Italienisch, hat in Rom studiert, dann aber doch nicht promoviert, sondern geheiratet, Kinder gekriegt und ist vor einiger Zeit, wie man so schön sagt, wieder eingestiegen. Und weil es ein Storno gegeben hat, konnte ich noch ins Festival-Hotel. Flexibel und flott seien die dort, hat unsere Sekretärin festgestellt. Und dass sie am liebsten mit möchte. Natürlich ist die Festivalleitung daran interessiert, dass auch ausländische Medien berichten. Wir haben niemandem gesagt, dass es mir vor allem um ein Interview mit Thomas Pauer geht. Ich werde, wenn es sich irgendwie ausgeht, auch etwas über das Festival selbst machen. „Einmal was anderes als die ewigen Salzburger und Bregenzer Festspiele im Sommer“, hat Uli gemeint, die momentan das Kulturressort leitet.
Jetzt wird die Gegend doch schroffer. Plötzlich ragen Bergtürme auf, die höchsten an den Spitzen
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