Männerküsse: homoerotische Geschichten (German Edition)
ersten Mal vollkommen glücklich in meinem Leben. Wäre da nicht diese Sache, die an mir nagte.
Niemals wollte Sean mit mir ausgehen. Nicht mal in den Pub im Dorf wollte er mit mir. Ich verstand ihn nicht. Hatte er denn keine Lust mit mir Rad zu fahren oder im Wald ein Picknick zu veranstalten? In die Stadt zu fahren, shoppen oder essen zu gehen? Nie wollte er das Grundstück verlassen. Natürlich liebte ich mein Heim und ich liebte ihn, aber es fehlte etwas. Irgendetwas war nicht richtig. Nicht so, wie es sein sollte.
Dann begann es: Sean wurde von Tag zu Tag blasser, sah immer ausgezehrter aus. Etwas raubte ihm Kraft und ich musste wissen, was es war. Ich ließ einen Arzt kommen, doch Sean sperrte sich ein und wollte niemanden sehen. Der Arzt zog unverrichteter Dinge wieder ab. Ich wurde wütend auf Sean, doch konnte es nie lange bleiben, wenn ich ihn ansah. Seine blonden Strähnen schimmerten nicht mehr. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und ihre Farbe war nur noch ein matter Schein. Meine Sorge um ihn nahm zu, doch er versuchte mich zu beruhigen. Er meinte, dass alles gut werden würde, dass er glücklich wäre und dass er etwas Wertvolles kennengelernt habe. Ich verstand nicht, was er meinte, und weinte nächtelang in seinen Armen. Eines Morgens wachte ich allein in unserem Bett auf und wusste, dass er nicht mehr da war. Er war einfach fort. Und ich litt vor Ungewissheit Qualen.
Am Abend kam ich nach stundenlanger Suche in der Umgebung zurück und öffnete das Tor zur Auffahrt. Mit einem Mal hielt ich erschrocken inne, meine Schlüssel landeten auf dem Kies. Auf den Stufen vor dem Eingang stand Sean, und doch schien er nicht wirklich da zu sein. Ich musste mehrmals blinzeln, seine Gestalt sah verschwommen aus. Je dichter ich herantrat, desto beunruhigter wurde ich. Ich konnte Sean ins Gesicht schauen, und doch sah ich durch ihn hindurch wie durch einen Schleier. Ich hielt mich für einen bodenständigen Typen, den nichts so leicht umhaut, doch als ich Seans Wange berühren wollte und dabei durch seine Hülle in ihn hineinglitt und nur kühle, vibrierende Luft spürte, wurde mir schwarz vor Augen.
Sean zieht mich heute noch damit auf, dass ich damals in Ohnmacht gefallen bin. Ich gönne ihm den Spaß. Immerhin hatte er lange darunter zu leiden, dass ich nach dieser Geschichte nicht mehr mit ihm sprechen wollte.
Ich war wütend, weil er mich angelogen hatte. Obwohl er beschwor, dass er nur nicht die ganze Wahrheit gesagt hätte. Klugscheißer . Er redete sich damit raus, dass er – wenn ich ihn gefragt hätte, ob er ein über 450 Jahre alter Geist wäre – mir mit Ja geantwortet hätte. Ich schwieg ihn weiterhin an und versuchte ihn zu ignorieren. Das war jedoch nicht ganz einfach, wenn er nachts alte Trinklieder sang und Wörter auf meiner Schreibmaschine tippte, die ich eigentlich nicht schreiben wollte. Doch ich konnte dagegenhalten. Befriedigte mich nachts selbst, wohl wissend, dass er mich beobachtete. Ich stöhnte und rief seinen Namen, doch lud ihn nicht ein mitzumachen.
Eine Woche lang hielt ich es aus. Lauschte seinen Beteuerungen und seinen Entschuldigungen; aber auch seinen Flüchen, was für ein verbohrter Dummkopf ich wäre. Im späten Sonnenschein eines wunderbaren Frühlingstages saß ich auf unserer Schaukel und sagte ihm leise, dass ich ihm verziehen hatte. Seine Umrisse erschienen vor mir auf dem Gras, und er begann zu erklären, was mit ihm geschehen war. Ein Unfall hatte Sean das Leben gekostet. Er war im Begriff, das Dach zu reparieren, als er das Gleichgewicht verlor und sich das Genick beim Aufschlag auf der Einfahrt brach. Seit jenem Tag hatte er dieses Haus nicht mehr verlassen können. Und als er mich das erste Mal erblickte, formte sich in ihm der Wunsch, wieder eine menschliche Form anzunehmen. Das Sichtbarmachen war kein Problem gewesen, aber diese Form zu halten, fiel ihm im Laufe der Zeit immer schwerer. Denn er vergaß in meiner Gegenwart, was aus ihm geworden war. Ich gab ihm das Gefühl ein Mensch, ein Mann, ein lebendiges Wesen zu sein, und mit jeder Sekunde wurde es anstrengender, mir und sich etwas anderes vorzugaukeln. Das Leben an sich erschöpfte ihn. Mit Tränen in den Augen sah er mich an und meinte, dass er sich immer wieder dafür entscheiden würde, diese wenigen Monate mit mir zu verbringen, als Jahrhunderte ohne mich. Ich spürte seine Umarmung, die sich wie eine Brise vom Meer an einem späten Augustabend anfühlte.
Bis heute hat Sean sich kein einziges
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