Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt
galten generell als »triple Ms«, als »Menschen mit Menstruationshintergrund«. Die Produktion wollte offensichtlich ihren linksrheinischen Macho-Spaß bei der Arbeit auch in der Ferne behalten. Denn obwohl Sender und Mutterhaus des Herstellers ihren Sitz in Köln hatten, wurde in Berlin produziert. Hier rannten die Selbstentblößungsjunkies den Castern die Büros ein.
Und die musste Rainer in richtig Schlechte, Schlechte und weniger Schlechte einteilen. Die richtig Schlechten bekamen den Job, die Schlechten, sofern sie einen Sprachfehler hatten, wurden an die Gerichtsshows weitergereicht, die weniger Schlechten konnten nachhause gehen. Rainer hatte die Kategorien und ihre Benennungen von seinem Vorgänger übernommen, der zu einer
charity organisation
nach Lagos gewechselt war. Rainers Art von Humor wäre das mit den Namen schon deshalb nicht gewesen, weil es Rainers Art von Humor gar nicht gab. Er hatte Humor – darauf bestand er –, aber seine Art davon gab es nicht. Das war ein typisches Kennzeichen seiner Generation, der Generation IMM, »Irgendwas Mit Medien«: Man hatte grundsätzlich alles, aber spezifisch auf einen Zutreffendes hatte man nicht – bis auf den Klingeltondes Handys natürlich. Das lag auch daran, dass der Job viel zu anstrengend war, als dass Rainer sich der individuellen Ausgestaltung seines Ichs hätte widmen können. Unter der Woche wurde täglich eine einstündige Folge gedreht, am Wochenende assistierte Rainer bei der Nachbearbeitung. Und da er sowieso viel im Internet herumlungerte, war es ganz logisch, dass er sich hier, wo er sich mehr als irgendwo anders auskannte und zuhause fühlte, nach einer Partnerin umsah. Das machten alle, die er kannte, auch. Selbst die, die sich innerhalb der Firma gefunden hatten, hatten sich zuvor im Netz gesucht.
Das mit dem Louis-Vuitton-Imitat aus Istanbul war Amelie peinlich. Eine Kollegin hatte sie hämisch darauf angesprochen, als Amelie nach dem Urlaub mit dieser Tasche auftauchte. Ihr Chef zitierte sie daraufhin gleich zu sich in sein Büro. Amelie arbeitete als Ground Stewardess bei einer arabischen Airline am Berliner Flughafen. Man sei hier nicht »die Burnus-Version von Ryanair«, sagte der Chef, sondern ein Carrier im gehobenen Preissegment, da habe man jedwede Art von Schnäppchen-Anmutung zu vermeiden. Und eine Ground-Stewardess mit einem Louis-Vuitton-Imitat verbreite ebendies, die Schnäppchen-Anmutung. Amelie wollte sich schon damit verteidigen, dass einer ihrer Kollegen seit Monaten unbehelligt mit einer gefälschten Rolex aus Hongkong herumliefe, doch Petzen lag ihr nicht. Außerdem sah die Uhr des Chefs auch nicht so richtig echt aus. Also entschuldigte sie sich und ging zum Counter zurück, wo sie die »Holzklasse« nach Dubai abfertigte und beim Handgepäck der weiblichen Paxe fast nur Imitate von Mulberry, Bree und Prada entdeckte. Mein Chef kommt nun mal aus Österreich, dachte Amelie, da gehen die Uhren anders, auch die Imitate. Ihr Chef war bei der Austrian rausgeflogen, als die sich verkleinern musste – »Konzentrationauf die Kernkompetenz« nannten das die von außen engagierten Verkleinerer –, und hatte bei den Arabern eine Chance bekommen. Die nutzte er.
Etwas anderes setzte Amelie noch mehr zu. In ihrem Stewardessenkostüm fühlte sie sich extrem unwohl, was hauptsächlich daran lag, dass sie eine Schleierandeutung tragen musste, die vom stilisierten Schiffchen-Hütchen über eine Hälfte des Gesichts bis zum Halsansatz reichte und dann im Kragen verschwand. Amelie fand, sie sehe aus wie Scheherazade in einer Kinderballett-Aufführung von ›1001 Nacht‹ am Landestheater Anklam. Richtig verschleiern wollen mich diese Araber nicht, dachte Amelie, weil sie sich dann Boykottaufrufe von politisch korrekten Berufsfrauen einfangen, und ganz ohne geht wegen der arabischen Kunden nicht. So lebte Amelie also während ihrer Dienstzeiten unter dem doppelten Makel, sich für die Araber zu wenig, für den westlichen Rest der Welt zu viel verschleiert zu fühlen. Der weitaus größte Teil ihrer Kunden, die Touri-Paxe, sahen in ihrer Kostümierung allerdings eher ein Versprechen orientalischer Überraschungen, so als würden sie nicht mit dem Airbus, sondern mit einem fliegenden Teppich reisen. Obwohl sich Amelie zwischen eine Doppellüge gepresst fühlte, tat sie nichts dagegen, denn die banale Wahrheit war: Die Araber zahlten einfach besser als andere Fluglinien.
Amelie war nun Ende 20, hatte die ganze Welt gesehen,
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