Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt
»Kommen Sie.« Wir gehen nach draußen, bleiben des Regens wegen unter dem Vordach stehen.
»Haben Sie Zeugen?«
»Zwei Fußgänger«, lüge ich und wedle mit zwei Visitenkarten herum, die ich in der Brusttasche der Regenjacke gefundenhabe. Meine eigenen, weshalb ich sie auch nicht herzeige. Frau Hirtreither, die sie auch nicht sehen will, greift in ihre Handtasche.
»Wie viel?«
»Was?«
»Wie groß ist der Schaden?«
»Wollen Sie mir die Anzeige abkaufen?«
»Ich hab schon genug Punkte in Flensburg, kann mir keine mehr leisten. Ein halbes Jahr ohne Lappen käme mich teuer zu stehen. Ich arbeite im Außendienst.«
»Das hätten Sie sich vorher überlegen …«
»Und zwei kleine Kinder.«
Sie scheint dabei zu zwinkern. Ich beginne zu verstehen. »Außendienst, Kinder, was noch? Die Großmutter im Rollstuhl?«
»Dialyse. Die Großmutter muss an die Dialyse.«
»Aber der Großvater ist im Rollstuhl.«
Sie nickt. »Okay. Der Großvater ist im Rollstuhl. Wie viel also?«
»Das war ein Rizoma-Rückspiegel, den Sie mir da abgefahren haben, und der kaputte linke Handgriff ist auch von Rizoma. Mit verchromten Fassungen. Dann der Lackschaden am Hinterradkasten …«
Sie drückt mir ein Bündel Scheine in die Hand. »Dreihundert Euro und wir vergessen alles. Und mit alles meine ich ausnahmslos alles. Okay?«
»Hirthreiter?« Jenny wundert sich. »Bei mir nennen sie sich Breininger. Kommt bei Patienten, die nicht über die Kasse abrechnen, öfter mal vor, dass sie sich anders nennen. Informationelle Selbstbestimmung.«
»Aber was machen sie in der Pension und das offensichtlich regelmäßig?«
»Vielleicht heißen sie nicht nur anders, sondern sind auch nicht von hier.«
»Vielleicht. Der Opel, den sie fährt, ist jedenfalls von Flinkster, einem Car-Sharing-Unternehmen. Das mit dem Außendienst stimmt also wahrscheinlich auch nicht.«
Jenny wirkt etwas ratlos und wütend über ihre Ratlosigkeit. »Die beiden stecken bis über die Haarwurzeln in einem Sumpf von Lügen und haben nichts Besseres zu tun, als die Lüge an sich zu geißeln.«
»Um was ging es denn am Freitag?«
»Dürfte dich interessieren. Um die Presse.«
C: Sogar Kanarienvögel sind treu.
P: Ich kann das Gewäsch von den ach so treuen Tieren nicht mehr hören. Selbst Taubenmännchen gehen fremd.
C : Nein. Du lügst, du lügst wie gedruckt.
P: Weißt du denn überhaupt, woher diese Redewendung kommt, die du infamerweise mir gegenüber gerade verwendet hast?
C: Gutenberg, vermute ich mal. Dadurch, dass man durch seine Erfindung die Ablasszettel massenhaft drucken konnte, wurde der ganze katholische Schwindel erst möglich, gegen den Luther vorging.
P: Nicht schlecht. Die neuzeitliche Version von lügen wie gedruckt wurde Anfang der 1950er-Jahre geboren. Denn damals erschienen erstmals ›Bild‹ und ›Bunte‹.
C: Deine Retourkutschen haben Achsenbruch. Auf den Boulevard einzudreschen ist so was von billig!
P: Billig? Ihr zieht euch lustvoll Woche für Woche das ganze Lügenprogramm von ›BunteGalaFrauimSpiegelPetraBildderFrauAktuelle-GrünesBlattInsight‹ rein und ausgerechnet bei uns Männern werdet ihr moralisch und verlangt die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
C: Hauptsache der ›Kicker‹ lügt nicht.
P: Der Mensch wird rot, wenn er lügt, Papier offensichtlich gelb. Daher der Begriff Yellow Press.
C: Welche Farbe hat eigentlich ›Auto, Motor, Sport‹?
P: Mehr fällt dir nicht ein?
C: Weil’s nicht mehr gibt an Männerzeitschriften. Ah doch, den ›Playboy‹. Aber der hat Auflagenschwund, weil er ein Thema draufhat, das euch nicht mehr so richtig interessiert: Sex.
P: Die ganze Klatschpresse baut doch auf den zwei Lügen auf, dass ihre Protagonisten authentisch und Diätkuren effektiv seien. Authentisch! Wenn ich das Wort schon höre! Das ist sozusagen die Manufactum-Version von Wahrheit. Und wenn einer der Promis aus der Authentizitäts-Falle ausbricht …
C: … dass du so ein Wort ohne Stolperer rauskriegst!
P: … weil er wirklich sein Lebensglück gefunden hat, dann landet er gnadenlos in der No-go-Area der Yellow Press. Er …
C: … oder sie …
P: … oder sie liefert keine Enttäuschungen mehr, keine Skandale, keine Geschichten, also gibt es ihn oder sie nicht mehr in der Bild-Gala-Bunten-Welt. Denn das Glück hat keine Geschichte, sagt Balzac.
C: Bildungshuberei!
P: Ja und? Es sind doch die pissnelkigen und unerfüllten, weil unerfüllbaren Sehnsüchte von euch behumpsten Leserinnen, die das
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