Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt
viel Abstand brauchst du denn noch?«
Amelie schüttelte den Kopf, ohne Rainer anzusehen, der die beiden Sashimi-Teller reinbrachte und auf den Tisch stellte. »Ich will wissen, wo das hinführt mit uns, ob ich da hinwill. Mit dir oder ohne dich. Und dazu brauche ich Abstand.«
»In Potsdam an der Volkshochschule soll es ganz tolle Selbstfindungsgruppen für Frauen geben. Bellydance inklusive.«
Wütend sprang Amelie auf und trat Rainer von hinten in die Kniekehlen. Es war schmerzhafter, als es sein Aufstöhnen vermuten ließ. »Arschloch! Du zynisches, blödes Arschloch!« Rainer knickte ein und verschüttete ein paar Spritzer von der Sojasauce. Amelie erschrak für einen Moment über ihre spontane Brutalität, dann fühlte sie so was wie Stolz.
»Bist du verrückt, oder was?! Was erlaubst du dir!!?« Rainer keuchte vor Schmerz.
»Das, was du mir nicht erlaubst. Genau das ist es jetzt, Rainer. Ich erlaube mir, was du mir nicht erlaubst. Ich erlaube mir, mich gegen deinen Scheißzynismus zu wehren …«
Okay, Amelie, ist ja gut. Ich war drüber. Tut man nicht, ist klar, ich zieh das mit dem Bellydance zurück, okay, aber …«
und ich frage dich nicht um Erlaubnis, mit welchen Mitteln ich mich wehre. Ich frage dich nicht um Erlaubnis für irgendetwas, okay?«
»Wie kommst du auf den Scheiß von wegen um Erlaubnis fragen?«
»Weil du denkst, du bist hier der große Checker, hast alles im Griff, du weißt, wie der Hase läuft …«
»Und? Wie läuft er?«
»Ist doch scheißegal, wie der Hase läuft!«
»Der Hase schlägt Haken, Amelie, und deshalb musst du nicht auf ihn, sondern neben ihn zielen, wenn du ihn kriegen willst.«
»Gut zu wissen. Danke für die Info.«
»Und jetzt ganz easy, Amelie: WAS FÜR EIN SCHEISS GEHT HIER AB?!!!« Rainers Stimme überschlug sich fast.
Amelie ließ sich auf die Couch zurückfallen. »Du weißt es doch auch, was hier abgeht, oder? Siehst du das nicht?«
»Nicht schon wieder Frage mit Gegenfrage beantworten, vielmehr nicht beantworten.«
»Die Luft geht ab, Rainer. Mir geht die Luft zum Atmen ab neben dir.«
»Geht’s ’n Tick konkreter?«
»Ich hab noch gar nicht so richtig ein Problem, hast du schon die Lösung dafür …«
Und hätte ich sie nicht, würdest du sagen« – er schrillte mit Knautschmiene –, »du kümmerst dich überhaupt nicht um meine Probleme …«
ich hab meinen Satz noch nicht beendet, hältst du schon dagegen …«
soll ich kuschen?«
und äffst mich mit einer Stimme nach, die nicht fair ist.«
»Wie soll das denn gehen: Deine Stimme nachäffen und dabei fair bleiben?
Verdad o muerte
, Amelie.«
»Sag mal, liebst du mich eigentlich noch?
Verdad o muerte
, Rainer.«
Rainer sah Amelie mit ihren verstrubbelten Haaren an. Wie Pumuckl, dachte er und erschrak. Es war das erste Mal, dass er sie mit jemandem verglichen hatte. Amelie war nicht mehr unvergleichlich. »So ’n schlauer Staatsmann hat mal gesagt, Verrat ist eine Frage der Zeit. Wahrheit auch, Amelie. Wahrheit ist auch eine Frage der Zeit. Und jetzt ist nicht die Zeit.«
Amelie warf ihm das Handtuch ins Gesicht und sprang von der Couch auf. »Hättest ruhig Talleyrand statt ›schlauer Staatsmann‹ sagen können. Ich bin nicht so blöd wie dein Quotenvieh. Wenn die Zeit für die Wahrheit gekommen ist, pfeif’ einfach.« Sie gab ihm den Lauren-Bacall-Blick.
»You know how to whistle? Put your lips together and blow.«
Und damit verschwand sie. Auch bei Amelie war die Cinemathek der ›Süddeutschen Zeitung‹ offensichtlich nicht ohne Wirkung geblieben.
›Rashomon‹ ist ein Schwarzweißfilm, der 1951 in Venedig den Goldenen Löwen und 1952 den Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film gewann, las Rainer auf der Hülle der DVD, ein Klassiker, also ein Film, den man gesehen haben muss. Rainer atmete tief durch und startete den Player.
Die Ruine eines alten japanischen Schlosstores, irgendwann vor Jahrhunderten. Es regnet in Strömen. Zwei zerlumpte, völlig durchnässte Männer kauern am Toreingang und starren vor sich hin. »Ja«, sagt der Ältere, »diese Geschichte, diewerde ich nie verstehen.« Durch den Regen rennt ein dritter Mann auf das Tor zu, stellt sich unter. »Ich muss immer wieder daran denken«, fährt der Ältere fort und blickt dabei ins Nichts, »aber ich begreife es nicht. Wie ist die Geschichte wirklich gewesen?« In langsamen Schritten nähert sich der dritte Mann nun den beiden auf dem Boden hockenden, setzt sich dazu. »Was für eine
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