Maennerschlussverkauf - Roman
Arm.
Höher kommt meine Oma nicht, sie ist nämlich tatsächlich noch kleiner als ich. Lächelnd beuge ich mich zu ihr herunter und drücke sie ebenfalls. Es ist schön, meine Oma zu sehen, auch wenn sie manchmal etwas zu direkt ist. Aber Klatsch ist eben ihr Leben. Ohne die Bunte , Gala und Co. könnte sie nicht überleben. Dass ein Prominenter aus diesen Zeitschriften live vor ihr im heimischen Wohnzimmer steht, muss für sie ungefähr so aufregend sein wie für Neil Armstrong seinerzeit die Mondlandung. Und dass sich ein Starmoderator für ihre eigene Enkelin interessiert, ungefähr so verwirrend wie die Funktionsweise eines Raketentriebwerks. Ich kann es ihr nicht verübeln. Mich haben die Ereignisse in meinem Leben ja selbst überrumpelt, und ich bin keine achtzig Jahre alt.
So aufregend die Ankunft von Tom und mir für meine Familie auch sein mag, für eine Sache bin ich sehr dankbar: Niemand erwähnt Marcel und die ins Wasser gefallene Hochzeit. Auch als wir zwei Stunden später im Lieblingsrestaurant (gute badische Küche mit viel Soße, Spätzle und Rotkraut) meiner Oma sitzen, hat keiner meinen Exverlobten auch nur mit einem Wort erwähnt. Doch natürlich ist auf meine Mutter Verlass. Als wir beim Nachtisch (Unmengen von Schwarzwälder Kirschtorte und guter deutscher Filterkaffee) angekommen sind, bin ich relativ entspannt. Tom hält den Kreuzverhören meiner Verwandten, die ganz wild darauf sind, einen exklusiven Eindruck in die Fernsehwelt zu bekommen, gut stand und unterhält die ganze Mannschaft mit witzigen Anekdoten aus der Redaktion. Alle sind hingerissen von ihm, und meine Oma kann kaum die Augen von ihm lassen.
»Wissen Sie, Tom«, beginnt meine Mutter und unterbricht ihn plötzlich mitten im Satz. »Wir sind wirklich froh, dass Sie und Anna sich kennengelernt haben. Vor einiger Zeit dachten wir nämlich, dass wir Anna, was Männer angeht, gänzlich abschreiben können«, erzählt sie in vertraulichem Tonfall, und einige meiner Verwandten nicken wissend.
»Mama, bitte!«, zische ich und würde am liebsten im Boden versinken, denn ich kann mir gut vorstellen, was gleich kommt: Wie konnte die böse Anna nur den tollen Staranwalt derart verschrecken? Wenn sie allen Ernstes vor Tom ihr Loblied auf Marcel anstimmt, werde ich mir auf der Stelle eine neue Mutter suchen. Und einen neuen Vater gleich mit. Denn wie immer hängt mein Papa fasziniert an den Lippen seiner Frau und kommentiert ihr unmögliches Verhalten mit keinem Wort. Das tut er nie.
Wenn es sich nicht um meine Eltern handeln würde, würde ich behaupten, dass die beiden ein echtes Abhängigkeitsverhältnis haben. Meine Mama redet, mein Papa verdient das Geld und hört ihr ansonsten zu. Das macht ihn anscheinend sehr glücklich. Eigentlich führen die beiden die perfekte Beziehung, und das seit gut dreißig Jahren. Aber das gibt meiner Mutter noch lange nicht das Recht, meine neue Beziehung gleich wieder im Keim zu ersticken und hier von meinem Exverlobten zu schwärmen! Warnend funkele ich sie an. Nur leider bemerkt meine Mama das überhaupt nicht.
»Jetzt mal im Vertrauen«, legt sie los. »Wie Sie vielleicht wissen, war Anna bis vor kurzem noch mit einem jungen Anwalt verlobt.«
WAAAAHHHH !!!!
Ich könnte sie umbringen! Stattdessen schaufele ich mir aus Verzweiflung so viel Schwarzwälder Kirschtorte wie nur möglich in den Mund. Das bewahrt mich immerhin davor, aufzustehen und sie anzuschreien, dass sie die Klappe halten soll.
»Jedenfalls ist es zum Glück nicht zu der Hochzeit gekommen, denn mal unter uns, ich hab’s ja schon immer gewusst. Er war einfach nicht der Richtige für unsere Anna! Ein ziemlich protziger Typ und seine Mutter erst! Ganz schlimme Leute. Umso glücklicher bin ich, dass unsere Anna Sie kennengelernt hat. Sie machen mir einen viel besseren Eindruck, Tom!«, verkündet meine Mutter mit einem Strahlen.
Mir bleibt schier die Kirschsahne im Hals stecken. Ich bekomme keine Luft mehr und muss anfangen zu husten. Was zum Teufel ist hier los? Welches außerirdische Wesen vom Planeten der Erkenntnis hat von meiner Mutter Besitz ergriffen??? Weitere Gedanken kann ich mir zu diesem Thema leider nicht machen, da der akute Sauerstoffmangel in meinem Gehirn dies verhindert. Ich werde ersticken. An einem Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Am achtzigsten Geburtstag meiner klatschsüchtigen und erschreckend fitten Oma. Plötzlich klopft mir jemand auf den Rücken, und ich spüre, wie sich die Kirschsahne mit einem Ruck
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