Maennerschlussverkauf - Roman
und merke, wie mir sofort die Tränen in die Augen schießen.
Tom!
Ich hoffe so sehr, dass es ihm mittlerweile besser geht. Der Gedanke daran, dass er in irgendeinem sterilen Krankenhauszimmer liegt, lässt mich nicht los. Sofort spüre ich, wie meine Unterlippe zu beben anfängt. Ich muss mich ganz dringend zusammenreißen! Gleich sind wir live mit Karl Lagerfeld auf Sendung, da darf ich auf gar keinen Fall losheulen wie ein hysterisches Comic-Häschen. Und später anfangen tun die nie, selbst wenn man weint oder noch nicht fertig ist und sich zum Beispiel noch Lipgloss von den Zähnen wischt. Das habe ich auch schon gelernt. Also versuche ich mich irgendwie einigermaßen zu beruhigen, denn die Regieassistentin hält schon wieder die Hand hoch und zählt.
Oh-oh! Es geht los.
»Hier sind wir wieder! Live und frisch von der Munich Fashion Week! Apropos, ganz frisch ist er nicht mehr … also … nicht frisch in der Modewelt, meine ich, nicht im Sinne von nicht mehr ganz frisch … Ähm. Wie auch immer. Neben mir steht live und exklusiv bei Flash! Karl Lagerfeld!«
»Eine sehr charmante Vorstellung. Danke!«, näselt Karl, und seine Sonnenbrille bebt leicht.
Ich hoffe vor Amüsement, nicht vor Empörung.
»Herr Lagerfeld, Sie sind quasi die graue Eminenz der Fashion-Welt. Zu Hause in Paris, geliebt in London, Berlin und New York. Was sagen Sie dazu, dass die Fashion Week erstmals in München stattfindet?«
»Nun ja, was soll ich dazu sagen? Ich bin ja grundsätzlich offen für Neues. Solange man mich mit dieser primitiven Lebenskultur, diesem Schweinsbraten und dem ganzen anderen Plastikzeug in Ruhe lässt, gehe ich damit d’accord. Wissen Sie, Chanel könnte überall Glamour verstreuen, selbst in einem Pferdestall.«
»Wo Sie gerade Pferdeställe erwähnen … Haben Sie nicht auch diese tolle Country-Kollektion designt? Wenn ich mich recht erinnere, war die Tochter von Prinzessin Caroline das Gesicht der Kampagne …«
»Sie meinen Charlotte Casiraghi! Nein, das war Gucci«, näselt Karl, und ich kann ihm deutlich ansehen, dass ich langsam ernsthaft in Ungnade falle.
»Oh. Na ja, so gut hat sie mir nun auch wieder nicht gefallen«, antworte ich schnell und durchforste mein Hirn nach irgendwelchen zuverlässigen Lagerfeld-Chanel-Infos, mit denen ich ihm schmeicheln kann. Ich habe das Gefühl, alle Infos aus den Vorbereitungsmeetings vergessen zu haben. Glücklicherweise werde ich dann doch fündig. Soweit ich mich erinnern kann, hat Manuel mehrfach von den besonderen Catwalks bei Chanel geschwärmt.
»Herr Lagerfeld, Ihre Shows sind mit Abstand die spektakulärsten und beeindruckendsten der ganzen Modewelt! Ich erinnere mich an riesige Eisfiguren, ein historisches Karussell voller Models und einen Auftritt von Dita von Teese. Planen Sie auch etwas ganz Spezielles für München?«
»Dita von Teese war bei Gaultier, meine Liebe«, presst Herr Lagerfeld hervor.
Autsch! Das läuft nicht gerade wie geschmiert … Vor lauter Angst, dass Karl gleich entrüstet den Set verlässt, möchte ich ihn am liebsten am Ärmel seines perfekt gestärkten Sakkos festhalten. Glücklicherweise macht er aber Anstalten, trotz meines erneuten Fauxpas weiterzusprechen. Was mich gelinde ausgedrückt erstaunt. Er scheint lockerer zu sein, als man gemeinhin so annimmt.
»Natürlich planen wir für München etwas Besonderes, auch wenn es sich dabei nicht um den Auftritt einer Stripperin handelt.«
Begeistert nicke ich und krame in meinem Gehirn nach der nächsten offiziellen Frage. Ich begebe mich garantiert nicht noch einmal aufs Glatteis und schlage Karl damit endgültig in die Flucht! Fragen zu München … da war doch was!
»Im Vorfeld gab es Gerüchte, dass Chanel anlässlich der Munich Fashion Week eine eigene Dirndl-Kollektion präsentieren wird. Stimmt das denn?«
»On ne sais jamais.«
Mist, das war keine gute Frage. Man muss Fragen immer offen formulieren, hat Tom mir mal erklärt, und beim Gedanken an ihn krampft sich mein Herz sofort wieder zusammen … Bitte, bitte lass es ihm besser gehen! Hoffentlich konnten sie ihm im Krankenhaus schnell helfen. Und hoffentlich hat er keine Schmerzen … Dieses dämliche Sandwich! Was habe ich da nur angestellt, ich …
»Ähäm, ähäm.«
WAAAAAAAAAAHHHHH !
Mist! Ich bin in einer Livesendung, und Karl Lagerfeld steht neben mir! Und er räuspert sich sichtlich genervt. Reiß dich zusammen, Anna! Tom würde nicht wollen, dass du seine Sendung versaust: Also, stell ihm schnell
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