Maennerschlussverkauf - Roman
der Regieassistentinnen die Hand hochhält und rückwärts die verbleibende Zeit abzählt.
Alles sieht tatsächlich danach aus, als ob ich da jetzt durch müsste. Entweder das, oder ich lasse Toms Sendung endgültig platzen. »Mach es für Tom und denk einfach an den Laufsteg vorhin!«, sagt mir eine innere Stimme. »Das hast du auch irgendwie geschafft.«
Im Endeffekt ist es fast das Gleiche. Nur dass ich nicht laufen, sondern reden muss. Und Reden kann ich eigentlich besser als Laufen. Ach, es wird schon irgendwie klappen. Nein, ich korrigiere. Es muss klappen! Die Regieassistentin zählt lauter. Ich schließe ein letztes Mal die Augen und stelle mir vor, Tom stünde neben mir und würde mir Kraft geben. Das hilft.
»Drei.«
Oder auch nicht. Ich will hier weeeheeeeeg!!!!
»Zwei.«
Was zum Teufel tue ich hier???
»Eins.«
Oh mein Gott!!! Ich will das nicht tun!
»Go!«
Scheiß drauf.
Ich atme ein, stelle mir vor, dass Tom neben mir steht und mich aufmunternd ansieht, und dann strahle ich einfach in die Kamera.
»Einen wunderschönen guten Abend und herzlich willkommen zu dem Event des Jahres, der Munich Fashion Week! Heute werden Sie Deutschlands schönste Landeshauptstadt einmal so kennenlernen, wie Sie sie noch nie erlebt haben! Dort, wo sich sonst Millionen von besoffenen Preißn und verstrahlten Australiern in maschinell gefertigte Billig-Lederhosen hüllen, regiert heute die Fashion! Glamour, Glitzer, Gucci und Co. – so lautet das Motto der ersten Munich Fashion Week. Seien Sie live dabei, wenn Dior auf Dirndl und Chanel auf Schafkopf trifft! Mein Name ist Anna Abendrot. Das ist kein Witz, und ich freue mich sehr, Sie heute durch die exklusive Livesendung Flash! – die Fashion Week! führen zu dürfen. MAZ ab!«
Kaum habe ich Luft geholt, kommt auch schon der erste Einspieler, und ich wage es, wieder zu atmen. Oh Gott. Ich lebe noch!
»Das ist aber nicht die Moderation, die du mit Tom geübt hast!«, zischt die Vampirella mir ins Ohr.
»Klappe!«, zische ich zurück und versuche mich ganz auf die Stylistin zu konzentrieren, die mich gerade wieder abpudert. Außerdem habe ich längst vergessen, was ich eben gesagt habe. Ich fühle mich wie in Trance. Der Schock wegen Toms Anfall sitzt tief, und dass ich mich plötzlich mitten in einer Livesendung befinde (die ich planloser Vollpfosten auch noch moderieren soll!!!), macht es nicht besser. Deswegen: Sorry, ich habe wirklich nicht die leiseste Ahnung, was ich da eben geplappert habe. Aber immerhin habe ich etwas gesagt, und das verbuche ich persönlich schon mal als Erfolg.
Und – oh Wunder – auch die nächsten Anmoderationen klappen einigermaßen. Okay, ich halte mich nicht zu einhundert Prozent an die Zeitvorgaben, aber ist das bei einer Livesendung nicht immer so? Nach der sechsten Anmod habe ich herausgefunden, dass ich spätestens dann zum Ende kommen sollte, wenn die Regieassistentin anfängt, mit hochrotem Kopf auf und ab zu hüpfen. Vorher, wenn sie nur winkt und Schneidebewegungen an ihrem Hals entlang macht, ist das eigentlich nur Show. Die lassen mich stets den angefangenen Satz noch zu Ende sprechen. Erst wenn sie anfängt zu hüpfen, gehen sie sofort in die Werbung, egal ob ich noch von meinem ersten Trip nach New York erzähle oder nicht. Wieder was gelernt.
So dumm stelle ich mich insgesamt gar nicht an. Tom fände mich bestimmt witzig. Gut, ich hätte die letzte Kreation von Diane von Fürstenberg vielleicht nicht als einen »überteuerten Haufen von Stofffetzen« bezeichnen sollen, aber das war witzig gemeint. Ich habe ihre Kollektion noch nie gesehen, das hat Manuel nur irgendwann mal gesagt, außerdem sitzt Diane noch immer am Flughafen in New York fest und bekommt überhaupt nicht mit, was ich sage. Kein Grund für Verena, mir derart ins Ohr zu schreien, dass sogar die Technik versagt! Aber umso besser! Nach Vampirellas letztem Wutanfall hat mein Inear komplett den Geist aufgegeben, und nun bin ich diese kreischende Stimme endlich los!
Gerade als ich anfange, mich halbwegs zu entspannen, steht wie aus dem Nichts Karl Lagerfeld neben mir! Ich erschrecke mich so sehr, dass ich unwillkürlich einen Satz nach hinten mache und beinahe über einen Scheinwerfer stolpere. Aber Karl hält mich mit einem erstaunlich kräftigen Händedruck fest und rettet mich so.
»Na, na, junge Dame! Wo wollen Sie denn hin? Wir wollten doch hier ein Interview führen? Apropos, wo ist denn Ihr bezaubernder Kollege?«
»Äh, krank«, stottere ich
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