Männerstation
…«
Beißelmann bekam wieder die Starrheit, die noch keiner zerbrochen hatte. »Nein«, sagte er hart.
»Was heißt nein?«
»Es geht Sie nichts an, wo und wie ich hängengeblieben bin.«
»Für einen Krankenpfleger nehmen Sie sich reichlich viel heraus«, rief Dr. Pflüger. Er war empört, und das mit Recht, denn das Benehmen Beißelmanns entsprach in keiner Weise der Haltung, die ein kleiner Angestellter gegenüber einem I. Oberarzt einzunehmen hat. Wie vielen im Krankenhaus war es auch ihm unverständlich, daß Prof. Morus so etwas duldete, wo er andererseits selbst gegenüber seinen Ärzten von einer Unnachgiebigkeit und Strenge war, die schon an Despotismus grenzte. Beißelmann jedoch ging durch die Klinik wie ein Fossil aus einer anderen Welt, und er wurde wie eine solche Seltenheit behandelt, ohne daß man wußte, warum dies geschah.
Dr. Pflüger war aufgesprungen und um den Schreibtisch herumgeeilt, ehe Beißelmann reagieren konnte. Mit einem Blick und einer Handbewegung über das Gesicht hatte der Oberarzt ihn überrumpelt.
»Das ist ein Kratzer«, sagte Dr. Pflüger. »Eindeutig der Kratzer eines Fingernagels.«
Der Krankenpfleger machte einen Schritt zurück. Die Ausdruckslosigkeit seines Gesichtes veränderte sich nicht. Dr. Pflüger steckte die Hände in die Taschen seines Arztkittels. Er hatte das Empfinden, in diesem Augenblick aus allen drängenden Sorgen heraus zu sein. Die Belastung, die auf ihm gelegen hatte, fiel ab. Er fühlte sich ausgesprochen wohl.
»Na, Beißelmann«, sagte er wohlwollend und schürzte die Lippen. »Da wollen wir einmal ganz klar sehen: Das ist ein Frauennagel gewesen, an dem Sie hängengeblieben sind. Und man bleibt daran hängen, wenn die Partnerin nicht so will, wie man selbst will. Oder mit anderen Worten: In Ihrem Gesicht tragen Sie die Spuren eines Sexualkampfes. Schönes Wort, was? Fiel mir soeben ein. Juristisch betrachtet ist das der Beginn einer Notzucht. Wenn wir jetzt das kratzende Händchen auch noch entdecken …«
»Sie haben keine Beweise … ich habe aber was gesehen«, sagte Beißelmann dumpf.
»Ohne Zeugen, mein Bester. Aber Sie tragen das Zeugnis wie ein Kainszeichen im Gesicht.« Dr. Pflüger drehte sich ab und nahm den Stundenplan des Schwestern-Lehrganges vom Tisch. »Ich glaube, wir sehen klar, Beißelmann, nicht wahr? Noch Fragen?«
»Ja.«
»Bitte?« Dr. Pflüger hob den Kopf. Nanu, dachte er.
»Es besteht ein Unterschied, Herr Oberarzt: Sie haben Namen und Karriere zu verlieren, ich habe nichts zu verlieren.«
»Ihre Stellung hier. Ihre soziale Sicherheit.«
»Sicherheit!« Beißelmann lächelte. Das Fratzenhafte seines Gesichtes regte Dr. Pflüger wieder zu Gedanken an. Mein Gott, schoß es ihm durch den Kopf. Es kann doch gar keine Frau geben, die diesen Menschen liebt. Und wenn er sich im Spiegel betrachtet und ehrlich genug ist, muß er doch einsehen, daß jedes Begehren absoluter Irrsinn ist. Und doch soll er einmal verheiratet gewesen sein, munkelt man. Aber auch das erscheint unwirklich und ist sicherlich eine schaurige Legende.
»Sicherheit?« wiederholte Beißelmann. »Man hat einen ganz falschen Begriff davon. Was ist Sicherheit? Wenn ein Mensch vor sich selbst nicht sicher ist, was bleibt dann da noch übrig?«
»Reden Sie kein pseudophilosophisches Blech«, sagte Dr. Pflüger grob. »Wir wissen jetzt, was los ist. Glauben Sie, man hätte mir nicht die Sache mit der Haarklammer wiedererzählt? Erst Klammern im Bett, dann Kratzwunden, und das im Krankenhaus … Na, Schwamm drüber, Beißelmann.« Dr. Pflüger nahm die Liste hoch. »Ich brauche das Modell eines Lungenflügels und zwei Präparate von Bronchiektasien. Haben wir so was auf Lager?«
»Ja«, sagte Beißelmann in seiner dumpfen Art.
»Dann bereiten Sie alles vor.« Dr. Pflüger wandte sich ab und tat, als ob er arbeiten müsse. Beißelmann blieb unschlüssig stehen. Er wußte, daß Dr. Pflüger im Grunde recht hatte. Sie waren Komplizen geworden, nur waren die Motive anders. Während Dr. Pflüger aus der Lust am Erlebnis gewissenlos in Ehen einbrach, war er, Beißelmann, überwältigt worden, ja sogar nach einer Gegenwehr, die im schlangenhaften Gleiten nackter Haut erstickt wurde.
Das Ergebnis war das gleiche, nur konnte man es nicht erklären. Nicht hier.
Lautlos wie immer verließ Beißelmann das Oberarztzimmer. Auf dem Flur traf er die junge Schwester Inge. Sie hatte ein sorgenschweres Gesichtchen und blieb stehen, als sie den Krankenpfleger von Dr.
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