Männerstation
Wort aus, als sei es in Galle getränkt. Dann ging sie Beißelmann nach, wartete, bis er die Tür zu Zimmer 5 aufstieß, und trat an ihm vorbei ein.
Sie saßen in den Betten wie Zinnsoldaten. Der Vorhang hatte sich gehoben, das Drama begann, in den Logen wurde kaum geatmet. Nur Paul Seußer störte die feierliche Stille. Sein medizinisches Phänomen hielt der nervlichen Belastung nicht stand. Der Schluckauf stieß wieder hoch und, trotz größter Anstrengung und Luftanhaltens bis zum blaugefärbten Kopf, war er nicht aufzuhalten. Paul Seußer sagte laut »Hick«. Dann sah er sich unglücklich um und hob resignierend die Schultern.
Beißelmann blieb an der Tür stehen und überblickte das Zimmer 5. Wen er ansah, senkte den Kopf. Wenn ihr euch daneben benehmt, hieß das, lernt ihr Beißelmann kennen.
Schwester Inge stand vom Bett auf und machte es frei für Frau Sencker. Peter-Paul Sencker drehte den Kopf zur Seite und sah seine Frau an. Sie kam langsam näher, mit schleppenden Schritten, als zöge sie jemand an einem unsichtbaren Faden zum Bett. Eine Marionette des Schicksals.
Als sie vor dem Bett stand, sahen sie sich lange stumm in die Augen. Dann versuchte Sencker ein Nicken. Seine unverletzte Hand fuhr nervös über die Bettdecke.
»Hanna …«, sagte er leise. »O Hanna …«
Frau Sencker setzte sich auf die Bettkante, sie fiel fast darauf. Zwischen ihren Fingern knirschte es; sie zerriß das Taschentuch und merkte es nicht.
»Peter …«, sagte sie und tastete nach der unruhigen Hand des Mannes. »Hast … hast du noch Schmerzen …?«
Dann weinten sie beide, und Hieronymus Staffner ließ sich zurückgleiten, wischte sich über die Augen und drehte den Kopf zur Seite.
»Verdammt, hier zieht es«, knurrte er leise. »Direkt in die Augen.«
Dann sahen sie alle weg … an die Decke, gegen die Wände, zu den anderen Betten. Es gab keinen Logenplatz mehr. Sie fühlten sich alle beteiligt.
*
Schwester Inge hatte eine heftige Aussprache mit Oberschwester Angela. Sie standen sich im Schwesternzimmer gegenüber, und zum erstenmal lehnte sich Inge gegen die unnahbare Strenge der Ordensfrau auf.
»Sie haben heute Nachtdienst, das wissen Sie«, sagte Schwester Angela. »Auch wenn der Herr Oberarzt anders disponiert … die Station muß besetzt sein. Ich kann mir nicht denken, daß Dr. Pflüger zweiundvierzig Patienten allein lassen will.«
»Herr Beißelmann soll mich vertreten.«
»Weiß er das schon?«
»Nein.«
»Dann sagen Sie ihm das mal.« Schwester Angela lächelte mokant. »Auch unser Beißelmann entwickelt Prinzipien. Er hat heute seinen freien Abend und wird ihn sich nehmen. Er hat sich dafür sogar einen neuen Anzug gekauft.«
»Ist das wahr?«
»Ich lüge nicht«, sagte Schwester Angela steif. Es war unerhört, das Wort einer Ordensfrau anzuzweifeln. Inge senkte den Kopf und biß sich auf die Unterlippe. Es war ihr herausgerutscht, nur ein Ausruf.
»Verzeihen Sie«, sagte sie leise. »Wenn Sie mit Beißelmann sprechen …«
»Ich? Nein. Sie wollen tauschen, nicht ich. Warum wollen Sie überhaupt heute weg?«
»Ich habe eine Theaterkarte bekommen«, sagte Inge Parth. Sie tat es ungern, aber Dr. Pflüger hatte ihr angeraten, nichts von dem gemeinsamen Ausgang zu erwähnen. Man quatscht sofort soviel, hatte er gesagt. Sie kennen ja die Lästermäuler. Und für diese Gerüchte sind Sie mir zu schade. Das können wir uns sparen mit einer kleinen Notlüge. Nun war diese Lüge heraus, und Inge bedauerte sie im gleichen Moment, wo sie nicht mehr rückgängig zu machen war.
»So? Sie wissen, daß Sie um neun Uhr wieder hier sein müssen.«
»Da ist ja gerade der erste Akt zu Ende. Vor elf Uhr ist es nicht möglich … wenn man die Straßenbahn dazurechnet, das Gedränge an der Garderobe …«
»Elf Uhr.« Schwester Angela machte ein Gesicht, als habe sie Bitteres gegessen. »Soll die Pfortenschwester extra Ihretwegen aufbleiben?«
»Die Nachtwache ist doch …«
»Die Nachtwache ist für die Kranken und Einlieferungen da, nicht für bummelnde vergnügungssüchtige Schwestern«, rief Schwester Angela erregt. »Das wird ja immer schöner. Nachher tragen meine Schwestern das Nachtleben noch auf die Stationen. Um neun Uhr sind Sie hier, wenn Herr Beißelmann Sie vertritt, haben Sie die Nacht ja dann zum Ausruhen.«
»Aber es muß uns doch die Möglichkeit gegeben werden, einmal in ein Theaterstück gehen zu können. Ein Krankenhaus ist doch kein Gefängnis!« Inge Parth ballte die kleinen Fäuste.
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