Männerstation
aufgeworfenen, tief roten Lippen. »Ob Wasser im Meer oder Wasser vom Himmel … was macht es? Naß werde ich so und so!«
Dann sprang er die Stufen hinab zum Ausgang; ein brauner, schlanker, herrlich gewachsener Athlet. Beißelmann sah ihm nach. Sein Herz war noch schwerer geworden.
Er fährt in Urlaub, an die See, dachte er. Das ist weit weg von Evelyn. So habe ich sie allein, ganz allein … ich habe ihr gesagt, daß ich heute abend komme.
Auf der Station ging er sofort in sein Zimmer und setzte sich ans Fenster vor den noch immer eingewickelten, im Wasser stehenden Nelkenstrauß.
Er hörte die Tür klappen, aber er drehte sich nicht um. Am Rascheln der Kleider hörte er, daß es eine Frau war. Und er wußte auch, wer es war, ohne daß er hinzusehen brauchte.
»Ich bleibe«, sagte er heiser. »Sie brauchen auch gar nichts mehr zu sagen, Inge … Sehen Sie sich Ihr Ballett an. Und fragen Sie nicht … Nein, ich bin Ihnen nicht böse. Ich trage es Ihnen nicht nach. Und wiedergutmachen brauchen Sie es auch nicht … Und nun gehen Sie!«
»Ich möchte Ihnen etwas erklären, Herr Beißelmann.« Schwester Inge stand zaghaft und zart an der Tür, die Hände ineinander verschlungen. »Wenn ich gewußt hätte, daß Doktor Pflüger in dieser Art …«
»Er handelt genau nach den Statuten, was ist da schon zu entschuldigen? Wenn ein Mensch im Recht ist …« Beißelmann verschluckte den Satz. »Und nun gehen Sie. Ich will nichts mehr davon hören. Es ist erledigt.«
Den Abend über war es wie immer. Der Pflegedienst auf der Station verlief reibungslos; das Abendessen, der Verbandwechsel in den einzelnen Zimmern, die Ausgabe der einzelnen Nachtmedikamente – zwei grüne und eine blaue Pille, die der verstorbene Brohl einmal ›Selbsthypnosekügelchen‹ genannt hatte –, alles war wie jeden Abend.
Gegen 20 Uhr verließ Schwester Inge das Krankenhaus. Sie trug ein festliches Kleid, das man zum erstenmal sah und in dem sie wie ein Porzellanfigürchen wirkte. Sie hatte es schon einige Jahre, aber der Mangel an Gelegenheit ließ es neu erscheinen. Kurz vor 21 Uhr machte Schwester Angela noch einmal ihren Rundgang durch die Station, ehe sie hinauf in die Klausur ging, um mit den anderen Ordensschwestern das Nachtgebet zu sprechen. Sie fand Beißelmann in der Teeküche. Er sah sie nicht an, als sie ihm eine gute Nacht wünschte. Er hatte eine große Tasse Tee vor sich stehen und stippte einen großen Wecken hinein, der vom Morgen übriggeblieben war. Daß er nicht abgeliefert worden war, mußte ein Versehen sein. Schwester Angela nahm sich vor, dies morgen genau zu untersuchen.
Gegen 21.30 Uhr machte Beißelmann einen Stationsrundgang. Auf allen Zimmern war es still. Es lag kein kritischer Fall auf Station III … drei Neueingänge hatte Pflüger auf Station II gelegt, die einige Betten durch Entlassungen frei hatte. Der einzige, der bewacht werden mußte, war Peter-Paul Sencker. Aber auch er schlief. Gleich nach dem Weggang seiner Frau war er eingeschlafen, zufrieden wie ein sattes Kind. Zimmer 5 war nicht auf seine Kosten gekommen; das Ehepaar hatte stumm sich an den Händen gehalten und sich angeblickt. Es war ein Wiederfinden, ein Klagen und Vergeben, wie es Worte nicht vermocht hätten.
Beißelmann ging durch die Dunkelheit zu dem Bett Karl Frerichs. Er sah, daß er noch wach war. Neben dem Bett glühte ein kleiner, roter Punkt. Frerich rauchte heimlich, wenn alles schlief, und gerade ihm hatte man das Rauchen streng verboten. Er hatte Beißelmanns Eintritt nicht gehört und zuckte zusammen, als ihn eine Hand berührte.
»Oje …«, sagte er, als er den Krankenpfleger erkannte. Er wollte die Zigarette unter dem Bettgestänge ausdrücken und aus dem Fenster werfen, aber Beißelmann hielt seine Hand fest.
»Ich habe nichts gesehen«, sagte er leise und setzte sich auf die Bettkante. »Rauchen Sie ruhig weiter.«
»Aber ich …« Frerich schwamm in einem Meer von Ratlosigkeit. »Gerade Sie?«
»Wenn sie Ihnen schmeckt, rauchen Sie.« Beißelmann sagte es mit Aufbietung aller Selbstbezwingung. Es bedurfte eines wilden inneren Kampfes, bis der drängende Mensch in ihm den pflichtbewußten überrumpelt hatte. »Nur verlange ich einen Gegendienst.«
»Wenn ich es tun kann …?«
Beißelmann atmete rasselnd. »Sie müssen mich vertreten, für eine Stunde.«
»Was soll ich?« Frerich zog schnell an seiner Zigarette. Wenn Beißelmann schon verrückt geworden ist, muß man das ausnutzen, dachte er.
»Mich vertreten.
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