Männerstation
Sie blickte in das harte kantige Gesicht Schwester Angelas, ein Büßerantlitz, wie aus einem Bild der Inquisition geschnitten.
»Ausnahmen bewilligt nur der Chefarzt. Und der ist verreist«, sagte das harte Gesicht.
»Aber sein Stellvertreter …«
»Wenn Oberarzt Doktor Pflüger es genehmigt, bitte! Er befreit mich dann von jeglicher Verantwortung.« Schwester Angela drehte sich um und verließ das Schwesternzimmer. Es war ihr zuwider, mit diesen jungen Dingern zu streiten. Ein Krankenhaus ist doch kein Gefängnis, hat sie gesagt, dachte sie. Natürlich ist ein Krankenhaus ein Gefängnis; wir sind von den Kranken und den Krankheiten gefangen, und es ist unser großes Schicksal, uns aufzuopfern für diese hilfesuchenden Menschen.
Schwester Inge rief kurz darauf Dr. Pflüger an und erzählte ihm die Auseinandersetzung mit Schwester Angela.
Wenig später schellte es auf Männerstation III: Krankenpfleger Beißelmann zum Oberarzt.
Von diesem Augenblick an sprach Schwester Angela den ganzen Tag über kein Wort mehr mit Schwester Inge. Sie zeigte eine offene Verachtung, die mehr wog als zehn lautstarke Anklagen.
*
»Das ist vollkommen unmöglich«, sagte Paul Beißelmann. Zum erstenmal sah man ihn nervös, seine großen Hände bewegten sich wie Tiere in den Taschen seines weißen Kittels. »Ich habe die Kinokarte schon.«
»Nein, lieber Beißelmann, dann lassen Sie sie verfallen, ich ersetze Ihnen den Schaden, und morgen kaufen Sie sich eine neue Karte und sehen sich den Schmarren an. Programmwechsel ist ja erst am Freitag …«
»Es geht nicht«, sagte Beißelmann rauh und endgültig.
Dr. Pflüger vermied es, grob zu werden. Er versuchte es auf die andere Art, die einzige, auf die Beißelmann vielleicht ansprang.
»Ich hätte Sie nicht für so unkollegial gehalten«, sagte er mit einer in Entrüstung schwimmenden Stimme. »Ein einziges Mal bittet Sie Ihre Kollegin um eine Gefälligkeit, und schon lehnen Sie ab. Sie müssen doch einsehen, daß dies …«
»Sie kann morgen gehen, übermorgen, jede Nacht – nur heute nicht.« Beißelmanns Stimme war plötzlich hell. Dr. Pflüger hob die Augenbrauen.
»Oh … das kratzende Kätzchen, nicht wahr? Sie wollen gar nicht ins Kino?«
»Heute geht es nicht.«
»Und heute geht es doch!« Dr. Pflügers Stimme war fast ein Trompetenstoß. Er hatte eine Waffe, eine legale Waffe, Beißelmann zu treffen. In besonders gelagerten Fällen hat der Chefarzt das Recht, Freistunden und Ausgang zu verschieben, wenn es notwendig ist. »Auf Zimmer fünf liegt ein schwerer Fall. Der Unfall, Sie wissen ja. Diese Kranken sind in den ersten Nächten sehr unruhig, schon des Schocks wegen, den sie alle haben. Es ist einer so schwachen Schwester wie Inge nicht zuzumuten, diesen unruhigen Patienten zu beobachten. Ich teile Sie deshalb, Herr Beißelmann, für die Nachtwachen ein, bis der Unfall über die Krisis ist. Dann können Sie eine Woche lang hintereinander frei haben.« Und um das Ganze völlig amtlich zu machen, fügte er hinzu: »Ich ordne das an in Stellvertretung von Professor Morus … das ist ja wohl klar, nicht wahr?«
Beißelmann schwieg. Nur seine Fäuste ballten sich. Wie Riesenkugeln hingen sie in den Kitteltaschen. Er sah Dr. Pflüger merkwürdig an, mit einem tierisch-dumpfen Blick, der keinerlei Vergleiche aufkommen ließ. Der Oberarzt wölbte die Unterlippe vor.
»Denken Sie nichts Idiotisches, Beißelmann«, sagte er. »Schwester Inge hat mich gebeten, mit Ihnen zu sprechen, weil Sie Angst hatte, es selbst mit Ihnen zu tun. Ebenfalls Schwester Angela. So ist das … alle haben Angst vor Ihnen. Darum mache ich den Sprecher für Schwester Inge. Und da Sie sich als selten unkollegial erweisen, muß ich eben zeigen, daß es auch anders geht – leider –« Dr. Pflüger winkte mit beiden Händen, als wolle Beißelmann etwas sagen, aber dieser sah ihn nur stumm an. »Sie wollen ins Kino, das kann man umtauschen. Schwester Inge möchte ins Theater, das kann man nicht verschieben. Ein einmaliges Ballettgastspiel. Wenn Sie dafür kein Verständnis haben …«
Wortlos verließ Beißelmann das Zimmer Dr. Pflügers. Im Treppenhaus blieb er stehen und sah, wie sich der Röntgenarzt aus Tanganjika, Dr. Bawuno Sambaresi, von seinem Kollegen verabschiedete.
»… und schönes Wetter an der See«, rief ihm der andere Arzt nach. Dr. Sambaresi winkte von der Treppe aus zurück.
»Ich werde viel schwimmen«, rief er zurück und lachte. Seine weißen Zähne blitzten hinter den
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