Männerstation
Sie Nachtdienst machen.«
»Beißelmann hat heute seinen freien Abend.«
»Das ist bei ihm doch einerlei. Ob er in seinem Zimmer hockt oder im Wachraum … Ich werde Beißelmann für den Nachtdienst einteilen.«
Sie gingen wenig später zusammen aus dem OP. Schwester Innozenzia räumte noch die Instrumente in die Sterilkocher, zwei Assistenzärzte standen im OP-Flur und diskutierten über Milzkarbunkel und Milzbrand. Sie blickten Dr. Pflüger und Schwester Inge nach, und obwohl sie nichts sagten, lag in ihren Blicken deutlich ihr Gedanke.
Während Inge hinauf zur Station fuhr, ging Dr. Pflüger in sein Zimmer und nahm seine beiden Kognaks. Erst dann fühlte er sich wieder voll Kraft und von aller Müdigkeit abgedrängt. Er stellte sich ans Fenster und sah hinab in den Krankenhausgarten. Dort fuhren die Rollstühle wieder Karussell um die Blumenbeete, humpelten die Kranken an Krücken oder am Arm der Schwestern, und saßen die fast Ausgeheilten auf den Bänken und hielten ihr mittägliches Sonnenbad.
Was will ich eigentlich von ihr, dachte Dr. Pflüger. Ich liebe sie nicht, nein, das kann man nicht sagen. Trotzdem reizt sie mich. Sie ist weder hübsch noch attraktiv; es ist nur ihre Jugend, weiter nichts. Es ist die Wonne, ängstliche Augen zu sehen, einen zitternden, dem Weinen nahen Mund … Hände, die mehr abwehren als heranziehen. Widerstand statt Hingabe … und das Gefühl, dies alles zu erobern und sich Untertan zu machen.
Das allein war es. Der Sieg seiner Männlichkeit. Dr. Pflüger atmete tief auf und trat ins Zimmer zurück. Die Vorfreude war einen dritten Kognak wert.
*
Um halb vier Uhr am Nachmittag kam Frau Sencker wieder ins Krankenhaus. Sie tobte diesmal nicht; ganz still, mit rotgeweinten, verschwollenen Augen, saß sie in dem kleinen, mit Korbmöbeln ausgestatteten Wartezimmer der Station III und wartete auf Paul Beißelmann. Schwester Inge hatte sie in das Zimmer geführt und ihr gesagt, daß sie gleich zu ihrem Mann dürfe, aber erst mit dem Pfleger ihres Mannes sprechen solle.
Beißelmann stand am Bett Peter-Paul Senckers und gab die letzten Anweisungen. Im Zimmer 5 lag eine Spannung wie bei einer großen Premiere; Paul Seußer war sogar von Bett zu Bett gegangen und hatte leise Wetten angeboten: Es gibt einen Mordskrach am Bett – ich halte 10 : 1 gegen jede andere Meinung. Schwester Inge hatte daraufhin Seußer ins Bett gejagt und einen Flegel genannt. Sie durfte sich das leisten, weil die ganze Station sie als einen Engel ansah.
»Sie sagen gar nichts, verstanden?« sagte Beißelmann zu Sencker. »Und Sie benehmen sich auch nicht wie ein Waschlappen. Sie haben die Schuld, und die tragen Sie nun auch mit Würde. Alles andere hat doch keinen Sinn. Wird's denn besser davon? Na also!«
Dann ging er hinaus, während Schwester Inge den Patienten zum Besuch ›herrichtete‹. Sie legte drei Kissen unter den Kopf und eine Rolle unter den geschienten Arm, wusch noch einmal das zerschabte Gesicht und gab Sencker, der plötzlich einen wilden Durst bekam, eine Tasse kalten Pfefferminztee zu trinken.
»Wie 'ne Aufbahrung«, sagte Ambrosius. »Fehlen nur noch die Orden und Ehrenzeichen …«
»Eine Schnauze hat der Kerl.« Staffner saß im Bett wie die anderen. Sie hatten gewissermaßen Logenplätze in diesem Drama. Nur Heinrich Dormagen lag. Sein nervöser Magen drückte wieder, und wenn er aufstieß, vor allem nach dem Essen, war es nicht säuerlich, wie es sein sollte, sondern gärig, mit dem Nachgeschmack von Kloake. Seit gestern war das wieder so und versetzte Dormagen in eine stille Panik. Er hatte sich vorgenommen, seiner Frau davon nichts zu erzählen, aber ebenso fest hatte er den Plan gefaßt, bei der sicheren Feststellung, daß es Magenkrebs sei, nicht abzuwarten, bis er elend zugrunde ging, verhungernd und sich in wahnsinnigen Schmerzen krümmend, gegen die kein Mittel mehr half.
Frau Sencker stand auf, als Beißelmann das Wartezimmer betrat. Sie war sich nicht schlüssig, ob es ein Arzt sei oder ein Pfleger … sie sah zu den Schuhen hinab und bemerkte die weißen Leinenschuhe mit den Gummisohlen. So etwas tragen die Ärzte, dachte sie. Im Kino hatte sie oft genug in Arztfilmen gesehen, daß die Ärzte weiße Schuhe trugen.
»Herr Doktor …«, sagte sie deshalb und preßte ein zerknülltes Taschentuch an den Mund. »Ich muß mich entschuldigen wegen gestern, aber ich hatte einfach …«
Beißelmann winkte ab. Er versuchte ein Lächeln, aber es entstand dabei eine Fratze, die
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