Männerstation
Quelle. Von Schwester Angela. Sollte jemand auf die Idee kommen, eine Krankenhauszeitung herauszugeben, würde ich Schwester Angela als Chefreporter engagieren. Es sind hieb- und stichfeste Informationen.«
Beißelmann war daraufhin weggegangen. Er war wirklich kein guter Unterhalter. Und nun trieb ihn eine Unruhe kreuz und quer durch das große stille Haus bis zu dem Skelett im Präparatensaal.
Er wartete auf irgend etwas. Ab und zu sah er auf die Uhr und lief dann ruhelos weiter. Auch das Skelett hielt ihn nicht, obwohl er hier länger verweilte als anderswo. Er ging zurück zur Männerstation III, sah in Zimmer 5, stellte fest, daß alles schlief, und setzte sich dann in die Teeküche, trank aus dem Thermosbehälter eine Tasse Pfefferminztee und starrte vor sich auf den gekachelten Boden.
Das Telefon an der Wand summte plötzlich leise. Durch Beißelmann fuhr es wie ein Schlag. Er stürzte auf den Apparat zu und riß den Hörer ans Ohr.
»Ja?« sagte er rauh. »Ja … ich bin es. Beißelmann. Was ist denn?«
Dr. Bernfeld war am Telefon. Er rief von der Aufnahme aus an.
»Haben wir noch ein Bett frei?« fragte er.
»Ja. In Zimmer zwei.«
»Bereiten Sie alles vor. Ein Unfall. Der Wagen ist unterwegs zum Unfallort. Die Polizei rief eben an.«
»Unfall? Wie denn?«
»Ich weiß nicht. Vermutlich Autounfall. Scheinen besoffen zu sein, die Polizei will Blutproben entnehmen. Ein Mann und eine Frau.«
»Ein Mann und eine Frau …«, wiederholte Beißelmann heiser. »Es ist gut!«
Er hängte den Hörer ein und starrte gegen die Wand. Die Unruhe war von ihm gewichen, er war nun wie immer, lautlos, umsichtig und stumm.
Er setzte sich wieder auf den Stuhl in der Teeküche und sah auf seine großen Hände.
Das Bett in Zimmer 2 bereitete er für die Einlieferung nicht vor. Er wußte, daß man es nicht brauchen würde. Aber es kostete ihn eine starke Überwindung, nicht das kleine Zimmer 11 vorzubereiten, auf das der neue Patient kommen würde. Das war für ihn sicher, obwohl er es offiziell nicht wissen dürfte. Er mußte sich ›überraschen‹ lassen, so wie alle anderen überrascht sein würden, wenn der Krankenwagen mit den Verunglückten zurückkam.
Nach einiger Zeit hörte er von weitem das Martinshorn des Krankenwagens. Er trat an das Fenster der Teeküche und sah hinab auf die Auffahrt zur Einlieferung.
Mit kreiselndem Blaulicht fuhren zwei Wagen in den Hof. Vorweg der Polizeiwagen, hinterher das weiße Krankenauto mit dem Roten Kreuz. Aus der Tür des Flures trat jetzt Dr. Bernfeld. Sein weißer Kittel leuchtete im grellen Licht der Autoscheinwerfer und der starken Lampe über der Tür. Die Nachtschwester kam ebenfalls heraus. Zwei Sanitäter sprangen aus dem Krankenwagen, kaum daß er hielt. Auch die Polizei stieg aus; ein Beamter sprach mit Dr. Bernfeld.
Dann klappten die Türen des Krankenwagens auf. Die erste Trage wurde herausgezogen.
Beißelmann trat vom Fenster zurück. Er wartete darauf, daß man ihn gleich rief.
Die beiden Tragen standen im Vorbereitungsraum des OP I. Schwester Innozenzia war aus der Klausur herausgeschellt worden, aber noch nicht unten. Es dauerte eine Zeit, bis sie die Haube angelegt hatte, ohne die sich eine Ordensschwester nie zeigen darf. Die Nachtschwester der Aufnahme stand am Telefon und wartete. Ab und zu sah sie zu Dr. Bernfeld hinüber und hob die Schultern. »Er meldet sich nicht«, sagte sie.
»Schellen Sie weiter durch, hören Sie nicht auf, Schwester. Dr. Pflüger muß zu Hause sein.« Dr. Bernfeld wusch sich die Hände, während Schwester Innozenzia erschien, die Verunglückten ansah und erschrocken ein Kreuz schlug.
»Wie ist denn das passiert? Und was will die Polizei auf dem OP-Flur?« Sie beugte sich über die Tragen. Der Dunst von Alkohol, der ihr entgegenschlug, gab die Antwort.
»Aber er trinkt doch sonst nichts«, sagte Schwester Innozenzia fassungslos. »Er hat mir selbst gestanden: seine religiöse Auffassung verbiete den Alkohol …«
»Im Augenblick ist er jedenfalls blau wie die Adria.« Dr. Bernfeld hielt die Hände in den Desinfiziator. »Das wird noch üble Folgen haben. Schade!«
Schwester Innozenzia entnahm als erstes eine Blutprobe von beiden Verletzten, ehe zuerst die Frau auf den OP-Tisch gehoben wurde. Ihre Schulter war zertrümmert, und Dr. Bernfeld betrachtete sich durchaus nicht als Prophet, wenn er annahm, daß die Bewegung ihres linken Armes für immer stark behindert bleiben würde. Auch die Kniescheibe des rechten Beines war
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