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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kaffee ergoß sich über den Teppich und bildete große braunschwarze Flecken. »Inge …« Er rannte ihr nach, aber sie war schneller, entwischte durch die Haustür und lief auf die Straße. Aber auch dort, in Sicherheit, blieb sie nicht stehen, sondern rannte weiter, die Straße hinunter, gejagt von der Angst und getrieben von dem eigenen Gewissen. Erst unter einer Lampe blieb sie stehen und lehnte den Kopf an einen der Bäume, die rechts und links der stillen Straße standen.
    Dr. Pflüger starrte ihr nach, bis er sie aus den Augen verlor. Sein Gesicht brannte von dem Schlag, und über den Augen hatte er einen kleinen Riß in der Stirnhaut. Dort hatte ihn der Bügel der Handtasche getroffen.
    Sie ist eine Schwester unseres Hauses, dachte er, als er die Haustür schloß. Man wird es sie spüren lassen, daß sie sich unbeliebt gemacht hat. Es gibt da unfehlbare, wunderbare Arten, einen Menschen mürbe zu machen. Gerade im Krankenhaus … es ist ein Ort, wo man durch Selbstverständlichkeiten jemanden vernichten kann. Und es ist eine Art Selbstzerfleischung, einen Chefarzt, einen Oberarzt oder eine Oberschwester als Feind zu haben.
    Dr. Pflüger kümmerte sich nicht um den Kaffee auf dem Teppich, der ohnehin eingesaugt war. Er setzte sich auf die Ledercouch, warf den Seidenschal, den Inge vergessen hatte, mit einem weiten Schwung von sich in eine Blumengruppe und griff nach der Flasche Kirschwasser.
    Er betrank sich sinnlos und schlief auf der Couch ein, indem er sich einfach umkippen ließ.
    Inge Parth stand noch eine Weile auf der Straße, an den Baum gedrückt, und weinte. Zudem war ihr schlecht, sie würgte und spürte wieder den Alkohol zu Kopfe steigen.
    Als sie weiterging, schwankte sie etwas. Bis zum Nachlassen des Schwindelgefühls blieb sie gegenüber dem Krankenhaus auf einer Bank sitzen. Erst als der Morgen dämmerte und fahlblaue Streifen in den Nachthimmel flossen, ging sie zum Eingang, schellte die Nachtschwester heraus und ging mit festen Schritten zum Fahrstuhl, der sie hinauftrug zur Männerstation III. Als sie in ihrem Zimmer war, brach sie zusammen und weinte haltlos und voller Schuldgefühl.
    *
    Paul Beißelmann schlurfte durch das stille Haus. Eine ungeheure Unruhe trieb ihn über die Gänge und Treppen, in fremde Stationen, durch die Röntgenabteilung, den OP-Trakt, die Labors … ein riesenhafter Schatten, der lautlos herumglitt und schließlich in dem Präparatenzimmer landete, wo die Demonstrationsobjekte für die Kurse aufbewahrt wurden. Dort blieb Beißelmann vor dem menschlichen Skelett stehen und starrte ihm in die rotbemalte Augenhöhle.
    Dr. Bernfeld hatte mit ihm gesprochen, ohne eigentlich etwas Besonderes zu wollen. Es war ihm nur langweilig geworden in seinem kleinen Wachraum, und da hatte er einen Gang nach oben zur Männerstation III gemacht, wo er Beißelmann als Nachtwache wußte.
    »Ich bin kein guter Unterhalter, Herr Doktor«, hatte Beißelmann gesagt. »Ich höre und sehe lieber zu.«
    »Und dabei sieht man doch manches, was?«
    Beißelmann hatte den jungen Arzt aus seinen ausdruckslosen Augen angesehen, und Dr. Bernfeld hatte nicht bemerkt, daß im Hintergrund dieses Blickes ein Lauern lag.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Oh, nichts Besonderes oder Bestimmtes.« Dr. Bernfeld hatte gelacht. »Ich habe nur so von ganz weit läuten gehört, daß Sie sich mit dem Sammeln von Haarklammern befassen.«
    »Quatsch!«
    »Schwester Angela fragte mich, ob ich was gesehen hätte.«
    »Sie soll beten«, sagte Beißelmann dumpf. »Dazu ist sie da …«
    »Und wie ist das mit der kleinen Inge?«
    »Was ist mit Inge?« Beißelmann wurde munterer.
    »Sie hat ein Faible für den Ersten Ober …«
    »Auch Quatsch.«
    »Heute ist sie mit ihm aus.«
    »Nein. Sie ist ins Theater.«
    »Sicherlich. Es wird 'ne schöne Vorstellung geben.« Dr. Bernfeld lachte etwas frivol. Er war ein junger Arzt und hatte seinen Spaß daran, wie Beißelmann auf solche Nachrichten reagierte. Es kam ihm nie in den Sinn, daß er damit Tragödien heraufbeschwor; er war zu freimütig und lebenslustig, um etwas anderes hinter den Dingen zu sehen als eben die schönen Seiten des Lebens.
    Er war ein guter und fleißiger Arzt, begabt und überall beliebt, aber er war noch nicht ganz fertig als Mensch, war ein großer Junge, der mit Schicksalen spielte, weil er sie nicht als Schicksale erkannte.
    Beißelmann starrte Dr. Bernfeld finster an. »Ist das wahr?« fragte er.
    »Ja.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Auch aus bester

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