Männerstation
zersplittert und mußte wahrscheinlich ganz entfernt und durch eine Schnappsehne ersetzt werden … Operationen, die sich über Monate hinzogen.
Die Nachtschwester legte den Hörer auf. »Der Herr Oberarzt meldet sich nicht.«
»Eine Sauerei ist das!« Dr. Bernfeld dachte an die vertrauliche Mitteilung Schwester Angelas. »Rufen Sie mal auf Männerstation III an und holen Sie Beißelmann und Schwester Inge.«
Beißelmann meldete sich sofort, als habe er neben dem Telefon gewartet. Schwester Inge meldete sich nicht. »Sie hat doch Ausgang«, sagte Beißelmann zu Bernfeld, als begreife er die Frage nicht. »Sie ist noch nicht da.«
»Und der Ober ist auch noch nicht zu erreichen …«
Beißelmann legte den Hörer schwer auf. Also doch, dachte er. Es stimmt. Und man weiß, wie so etwas ausgeht. Er seufzte, und er konnte es tun, weil er allein war und keiner ihn sah. Man wird auch das regeln müssen, dachte Beißelmann. Ein schweres Leben … nach allen Seiten muß man schlagen …
Er fuhr hinunter zum OP-Trakt und kam in den Vorbereitungsraum, als Schwester Innozenzia die Alkoholblutprobe den wartenden Polizisten übergab. Der Beamte, der mit Dr. Bernfeld gesprochen hatte, machte eine kleine Verbeugung.
»Vielen Dank, Schwester.« Dann sah er auf die Analyse und wölbte die Unterlippe vor. »Zwei-Komma-eins Promille. Junge, Junge … und dann noch fahren …«
»Es ist ein Rätsel«, versicherte Schwester Innozenzia und rieb die Hände nervös an der Schürze. »Es ist uns allen unverständlich – er trinkt nie Alkohol. Nie!«
»Zwei-Komma-eins Promille kann man sich nicht anhusten.« Der Polizeibeamte steckte die Analyse in eine Meldetasche. »Wann können wir ihn verhören?«
»Das ist ganz unbestimmt. Wir geben Nachricht. Es scheint, als ob ein doppelter Schädelbruch vorliegt, dazu noch die anderen Verletzungen …«
Beißelmann ging an der Gruppe vorbei. Im Vorbereitungsraum befand sich noch immer die Trage mit dem Verletzten. An der Tür zum OP stand Dr. Bernfeld, bleich, ein wenig unsicher, aber entschlossen, alles zu tun, was er konnte. Er winkte Beißelmann mit den Händen, nicht näher zu kommen.
»Waschen Sie ihn«, rief er. »Ich muß erst die Frau vornehmen. Ist das nicht eine Sauerei?«
Beißelmann schwieg und beugte sich über Dr. Bawuno Sambaresi. Sein schönes, ebenmäßiges, milchkaffeebraunes Gesicht war blutverschmiert und zerschnitten. Nie mehr würde er der schöne Mann sein, die Narben blieben zurück und verunzierten das Gesicht. Er würde eine platte Nase haben, schiefe Lippen und tiefzerfurchte Wangen. Auch wenn er sein Gesicht plastischen Operationen aussetzte, würde es Jahre dauern, bis er wieder einer Frau gefallen konnte.
Von der Frauenstation I kamen noch zwei Schwestern in den OP. Sie halfen Beißelmann, Dr. Sambaresi zu entkleiden und vorsichtig zu säubern, mit verdünntem Alkohol und einer Jodlösung. Im OP begann Dr. Bernfeld mit der Operation der zertrümmerten Schulter der Frau. Bis zuletzt hatte er gewartet und immer wieder versucht, Oberarzt Dr. Pflüger zu erreichen. Er mußte zu Hause sein, denn um diese Zeit hatte kein Lokal mehr geöffnet, und es war unwahrscheinlich, daß ein Mann wie Dr. Pflüger mit Schwester Inge durch den Mondschein fuhr wie ein verliebter, Verse deklamierender Jüngling. Es war klar, daß er nicht gestört werden wollte in einer Beschäftigung, die angenehmer war, als nachts am OP-Tisch zu stehen.
So begann Dr. Bernfeld seine erste selbständige, große Unfall-Operation. Bis jetzt war er als Stationsarzt von Männerstation III mehr oder weniger Handlanger gewesen, hatte Verbände gewechselt, als 4. Assistent bei den Operationen Klammern und Haken halten dürfen und mußte seine Stationsberichte dem Oberarzt erzählen, der sie dann dem Chefarzt wiedererzählte, obgleich Prof. Morus danebenstand. In der Hierarchie des Krankenhauses war Dr. Bernfeld bis zu dieser Nacht ein Dreck gewesen, eine besoldete Null, die zwar den akademischen Grad besaß, aber bei Morus weniger galt als Beißelmann. Das war nicht nur bei Prof. Morus so, sondern überall, am ärgsten in manchen Universitätskliniken, wo der Chef und Ordinarius einen Schlaganfall bekommen würde, wenn ein Assistenzarzt es wagen sollte, ihn ungefragt anzusprechen oder gar eine eigene Ansicht über eine Krankheit zu äußern.
Plötzlich war das anders. Die gesamte Verantwortung über das Weiterleben zweier Menschen lag in den Händen der ›akademischen Seifenblase‹, wie Prof. Morus
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