Männerstation
seine Assistenzärzte einmal betitelt hatte. Niemand war da, der helfen konnte, niemand, der einen Rat gab … nur Schwester Innozenzia stand neben Dr. Bernfeld, und sie nickte ihm ermutigend zu und legte das Instrumentarium zurecht. Was sie angeben würde, war richtig, das beruhigte Dr. Bernfeld sehr. Aber in seinen Fingern lag es jetzt allein, zu helfen und zu retten.
Er sah zur Seite. Griffbereit lagen Skalpelle und die Knochenschere, eine Zange und eine kleine Giglisäge. Die Nachtschwester hatte die Narkose der Frau vorbereitet und kontrollierte Atmung, Puls und Herzschlag.
Ich werde zuerst die Knochensplitter herausnehmen, dachte Dr. Bernfeld. Sie sind nicht mehr zu vereinigen, damit sie zusammenwachsen, auch nicht mehr mit einem Silberdrahtgeflecht. Diese Schulter ist völlig zertrümmert, hier kann später nur eine Plastik helfen.
Dr. Bernfeld wechselte wieder einen Blick mit Operationsschwester Innozenzia. Die kleine, gütige Ordensfrau nickte noch einmal und griff nach dem Skalpell und der Knochenzange. Dr. Bernfeld atmete auf. Sie hatte die gleichen Gedanken.
Er nahm das Skalpell und machte den ersten Schnitt. Und mit diesem ersten Schnitt kam über ihn eine große Sicherheit und Kühle, ja eine drängende Freude, endlich zu zeigen, wer dieser junge Dr. Harry Bernfeld sei.
Beißelmann hatte den besinnungslosen Dr. Sambaresi für die nächste Operation vorbereitet. Er lag unter angewärmten Tüchern bereit und atmete kaum. Eine Schwester von der Frauenstation I saß an seinem Kopf und beobachtete den Herzschlag. Beißelmann kam sich überflüssig vor und ging an die große Glaswand, die den Vorbereitungsraum vom eigentlichen OP trennte. Eine unerklärliche Unruhe trieb ihn wieder herum. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte in den Operationsraum, um zwischen den weißen Kitteln, den Gummischürzen und den Abdecktüchern die langen blonden Haare zu entdecken, die seitlich des Tisches herunterhängen mußten.
Schwester Innozenzia trat etwas zur Seite. Sie legte eine Knochenschere weg und holte von einem Sterilkasten einen Mehrzinker und eine Finochietto-Klemme. Dabei wurde für einen kurzen Augenblick der Kopf der Operierten frei, und Beißelmann starrte ihn mit offenem Mund an, und seine Hände preßten sich gegen die trennende Scheibe, als wolle er sie eindrücken.
Ihre Haare waren dunkel. Kurzgelockt und schwarz.
Beißelmann wandte sich ab und tappte wie benommen zurück zu Dr. Sambaresi.
»Wer … wer ist diese Frau da …«, fragte er eine der Schwestern.
»Steht auf der Einlieferung, weiß nicht …« Die Schwester schob den kleinen Beatmungsapparat heran, der in Notfällen eingesetzt wurde. Dr. Sambaresis Atmung wurde flach und unregelmäßig; es schien, daß er durch innere Verletzungen innerlich verblutete.
Beißelmann trottete aus dem OP hinaus und ging in das kleine Aufnahmebüro. Es war leer. Die Schwester, die die Kartei führte, half mit im Operationssaal. Leise schloß Beißelmann die Tür, dann stürzte er auf den Schreibtisch und riß die dort von der Polizei zurückgelassenen Papiere an sich. Er sank auf den Stuhl und las mit zitternden Händen die Aufnahmeprotokolle.
Marylin Fortyn, geboren in Oakland/USA, wohnhaft z.Zt. Hotel Continental. Wohnung am Heimatort: Arusha/Nordtanganjika …
»Mein Gott«, sagte Beißelmann und wischte sich mit der großen Hand immer wieder über sein Gesicht. »Mein Gott … wer ist denn das …?«
Er legte die Papiere auf den Schreibtisch zurück und rannte verzweifelt hinüber zum OP. Dr. Sambaresi lag unter der Sauerstoffmaske und röchelte beim Atmen; im OP hatte Dr. Bernfeld die Schulter freigelegt und holte mit Pinzetten und manchmal mit Einsatz der Knochenschere die Splitter aus den zerrissenen Muskeln. Es bedurfte keines Entscheides von Oberarzt Dr. Pflüger oder gar Prof. Dr. Morus mehr … die Schulter war nicht mehr zu flicken; Marylin Fortyn aus Arusha, der Massaistadt im Blickfeld des Kilimandscharo, würde für immer ein Krüppel bleiben. In den Augen der schweigsamen OP-Schwester Innozenzia sah Dr. Bernfeld, daß er richtig handelte. Alle Unsicherheit war von ihm abgefallen, und es war ihm, als habe er schon immer, seit Jahren, große Chirurgie gemacht und sei nicht bis zu dieser Nacht nur ein Handlanger von ›König Morus‹ gewesen.
Beißelmann stand wieder an der großen Glaswand und starrte auf den OP-Tisch und die schwarzen, kurzen Haare. Plötzlich überlief ihn ein kalter Schauer, als er die blutgetränkten
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