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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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sich darüber aufhalten würden.
    Die Witwe aber sprach: »Das war ja nur eine vorläufige Abmachung. In Wirklichkeit war dein Herr nie der Schüler meines Mannes. Ich bitte dich inständig, wenn du deinen Herrn siehst, die Sache irgendwie zum Abschluß zu bringen.«
    Der Alte ging.
    Sie wartete bis zum nächsten Tag. Als sie noch immer keine Antwort hatte, da rief sie den Alten wieder zu sich und fragte ihn aus.
    Der sprach: »Mein Herr ist so entzückt von Eurer Schönheit, dass das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler weiter keine Rolle spielt. Aber es sind noch drei Punkte nicht erledigt, die Euch wohl allzu schwer fallen dürften. Erstens: im Nordzimmer steht der Sarg. In seinem Anblick die frohe Feier zu begehen, bringt er nicht über sich, und es sieht auch nicht gut aus. Zweitens: Ihr habt mit Eurem verstorbenen Manne in glücklicher Ehe gelebt. Mein Herr kommt ihm an Bildung und Begabung bei weitem nicht gleich. Da möchtet Ihr über dem neuen den alten nicht vergessen können. Drittens: mein Herr hat keinen Heller in der Tasche, um Hochzeitsgeschenke und das Festmahl zu bezahlen. Aus diesen drei Gründen ist zu befürchten, dass die Sache nicht zustande kommt.«
    Die Witwe sprach: »Wenn es weiter nichts ist! Im Hinterhause ist ein leeres Zimmer, da kann man den Sarg hinstellen. Was den zweiten Punkt anlangt, so war ich die dritte Frau meines früheren Mannes. Eine war ihm gestorben, eine hat er verstoßen, und jedermann lachte ob seiner Lieblosigkeit. Der König von Tschu hat ihn einmal anstellen wollen, aber er wußte nur zu gut, dass seine Kenntnisse dazu nicht ausreichten; darum entfloh er hierher, um sich zu verstecken. Wie kann man da von besonderer Begabung reden! Außerdem ist Euer Herr ein Prinz, und ich bin auch aus königlichem Geschlecht, so passen wir unseren Familien nach zueinander. Auch unsere Lebensjahre stimmen sehr gut überein. Was das dritte anlangt, so ist das noch leichter zu erledigen. Ich habe mir zwanzig Lot Silber zusammengespart, die reichen aus für die Kosten der Feierlichkeit. Heute abend ist eine gute Stunde zur Hochzeit, darum sorgt dafür, dass alles fertig wird.«
    Dann hieß sie den Alten Leute suchen, um den Sarg beiseite zu schaffen. Das Gartenhaus wurde als Hochzeitskammer eingerichtet. Hohe Kerzen wurden angezündet und prächtige Vorhänge aufgehängt. Die Witwe kleidete sich in Brokat und Seide und schmückte sich kunstvoll — die Trauerkleider hatte sie schon vorher abgelegt. So blieb dem Prinzen denn nichts anderes übrig, als nachzugeben. Er machte ihr seine Verbeugung, ging mit ihr zusammen ins Hochzeitszimmer und trank mit ihr zusammen den Hochzeitswein.
    Als sie aber eben schlafen gehen wollten, stieß der Prinz einen lauten Schrei aus und fiel auf das Bett nieder. Die Frau umarmte ihn zärtlich und fragte, was er habe. Der Prinz aber brachte vor Schmerzen kein Wort heraus.
    Der Alte antwortete statt seiner: »Mein Herr leidet zuweilen an Herzkrämpfen. Ein berühmter Arzt hat ihm ein seltsames Rezept geschrieben. Man muss ihm das Hirn eines lebenden Menschen mit Wein vermischt zu trinken geben, dann wird es besser. Früher einmal, als die Krankheit ausbrach, da hat der König von Tschu einen Verbrecher hinrichten lassen und aus dessen Hirn die Medizin bereitet. Aber können wir hier ein Menschenhirn bekommen? Es ist aus mit meinem Herrn! Was tun? Was tun?«
    Die Frau erwiderte: ,,Tut es auch das Hirn eines Toten?«
    »Wenn er noch nicht länger als fünf Wochen gestorben ist,« sagte der Alte, »kann man es noch brauchen.«
    »Mein Mann ist noch keine vierzehn Tage tot«, erwiderte die Frau. »Wie wäre es, wenn wir den Sarg aufschlügen und es holten?«
    »Ich fürchte nur, Ihr bringt es nicht über Euch«, erwiderte der Alte.
    »Ich liebe den Prinzen so sehr, dass ich mein Leben für ihn gebe,« sprach die Frau, »was sollt ich diesen toten Knochen schonen!«
    Dann trug sie dem Alten auf, doch ja recht besorgt zu sein für den Prinzen. Sie selber aber nahm ein Beil zur Hand und ging ins Hinterhaus. Dann stellte sie die Lampe neben sich, fasste das Beil mit beiden Händen und schlug mit aller Kraft den Sargdeckel entzwei. Als der Sarg offen war, hörte sie, wie Dschuang Dsï einen langen Seufzer ausstieß, dann streckte er sich und richtete sich auf. Die Frau verließen vor Schrecken die Kräfte. Sie fiel zu Boden, und das Beil lag neben ihr. Dschuang Dsï aber ging hinüber ins Gartenhaus. Schließlich raffte sich die Frau zusammen und trocknete sich

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