Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
Vom Netzwerk:
den Schweiß von der Stirn. Dann ging sie ihm nach in das Häuschen. Der Prinz und sein Begleiter waren verschwunden.
    So suchte sie sich denn herauszureden: »Seitdem du gestorben warst, habe ich Tag und Nacht an dich gedacht. Vorhin hörte ich nun im Sarge einen Laut, da dachte ich mir, in alten Zeiten ist es ja auch schon vorgekommen, dass Tote wieder auferstanden. Darum nahm ich das Beil und öffnete den Sarg. Nun lebst du wirklich wieder! Ich bin überglücklich! Ich bin überglücklich!«
    Dschuang Dsï sprach: »Vielen Dank für deine Güte! Die Trauerkleidung hast du aber nicht lange anbehalten! Du stehst ja da in Samt und Seide.«
    »Ich hoffte auf mein Glück bei der Öffnung des Sarges, darum habe ich mich festlich geschmückt und die Trauerkleidung abgelegt zum guten Vorzeichen.«
    »Warum stand denn nicht der Sarg am Ehrenplatz?« fuhr Dschuang Dsï fort, »das war wohl auch um der guten Vorbedeutung willen?«
    Die Frau verstummte errötend.
    Dschuang Dsï aber hieß sie Wein herbeibringen und fing an zu trinken.
    Die Frau gab ihm tausend gute Worte, denn sie wollte gerne bei ihm bleiben; aber Dschuang Dsï betrank sich und sang ein Liedchen:
»Nun bin ich aller Bürden ledig;
Du möchtest noch, ich lass es sein!
Würd’ ich mit dir zusammen bleiben,
Du schlügst mir noch den Schädel ein.«
    Dann brach er in lautes Gelächter aus und sprach: ,,Ich will dir deinen neuen Gatten zeigen.«
    Damit streckte er die Hand aus, und die Frau sah plötzlich den Prinzen und den Alten zur Tür hereinkommen. Sie erschrak heftig und blickte sich um, da war Dschuang Dsï verschwunden. Sie wandte abermals den Kopf, da waren der Prinz und sein Begleiter weg. Da merkte sie, dass Dschuang Dsï seine Zauberkünste habe spielen lassen, um sie auf der Tat zu ertappen. Vor Scham und Verzweiflung erhängte sie sich.
    Da trommelte Dschuang Dsï auf einer Schüssel und sang:
»Sie hat mich wollen betrügen,
Ich war ihr zu gescheit.
Was nützt mir dann mein Rösslein,
Wenn drauf ein anderer reift?
Lag ich heut noch im Sarge,
Sie hätt’ einen anderen gefreit.
Und ich war mausetot —
Ach Jammers und ach Not!«
    Damit verließ er sein Haus und wanderte in Muße. Er erlangte die Unsterblichkeit und verschwand.

40. Der König von Huai Nan
    Der König von Huai Nan war ein Weiser aus dem Hause Han. Da er aus königlichem Geblüte war, war er vom Kaiser mit einem Land belehnt worden. Er pflegte Verkehr mit Gelehrten; auch konnte er Zeichen deuten und die Zukunft vorhersagen. Mit diesen Gelehrten zusammen hat er das Buch verfasst, das unter seinem Namen bekannt ist.
    Eines Tages kamen acht Greise, ihn zu sehen. Alle hatten weißen Bart und weiße Haare. Der Torwart meldete sie beim König. Der König wollte sie versuchen und sandte den Torwart, ihnen den Eintritt zu erschweren. Der sprach zu ihnen: »Unser König sucht die Kunst des ewigen Lebens zu erlangen. Ihr Herren seid alt und schwach. Was könnt ihr ihm dabei helfen? Es ist unnötig, dass ihr ihn besucht.«
    Die acht Alten sagten lächelnd: »So, sind wir dir zu alt? Nun, dann wollen wir uns jung machen!« Und ehe sie zu Ende gesprochen, hatten sie sich in Knaben von vierzehn, fünfzehn Jahren verwandelt. Ihre Haarknoten waren schwarz wie Seide und ihr Gesicht wie Pfirsichblüten. Der Torwart erschrak und meldete es schleunigst dem König. Als der König es hörte, nahm er sich nicht die Zeit, erst in die Schuhe zu schlüpfen, sondern eilte barfuß hinaus, sie zu empfangen. Er führte sie in seinen Palast, ließ brokatene Teppiche ausbreiten, Betten von Elfenbein herrichten, duftende Kräuter verbrennen und Tische von Gold und Edelsteinen vor sie stellen. Dann verneigte er sich vor ihnen, wie es Schüler vor ihrem Lehrer tun, und sagte ihnen, wie er sich über ihr Kommen freue.
    Die acht Knaben verwandelten sich wieder in Greise und sprachen: »Willst du von uns lernen, o König? Jeder von uns hat seine besondere Kunst. Einer kann Wind und Regen machen, Wolken und Nebel entstehen lassen, Flüsse fließen und Berge sich türmen lassen, wie er will. Der zweite kann hohe Berge bersten machen und große Ströme in ihrem Laufe hemmen, Tiger und Panther zähmen und Schlangen und Drachen beruhigen; Geister und Götter stehen ihm zu Gebote. Der dritte kann Doppelgänger entsenden, sich verwandeln, sich unsichtbar machen, ganze Heere verschwinden lassen und Tag in Nacht verkehren. Der vierte kann durch Luft und Wolken schreiten, auf den Meereswogen wandeln, Wände und Felsen durchdringen

Weitere Kostenlose Bücher