Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm
unter dem Bette eines Gelehrten oder Mönches.
Wer ihm in solcher Gefahr das Leben rettet, dem vergilt er es reichlich, und die ganze Familie hat es zu genießen. Wer ihn grundlos tötet, dem trägt er unauslöschlichen Haß nach, und er ruht nicht eher, als bis jener Mensch und sein ganzes Haus zugrunde gerichtet ist. So zeigen die Füchse deutlich ihre Zu- und Abneigung. Manche sind aber den Menschen auch überlegen, indem sie wissen, dass sie es in solchen Fällen mit einem unausweichlichen Schicksal zu tun haben, für das sie niemand anderes verantwortlich machen.
Es war einmal ein Jäger. Der suchte an einem heißen Sommertage in einem Melonenfelde Kühlung. Plötzlich stiegen ringsum schwarze Wolken auf. Donner und Blitz folgten sich ohne Unterbrechung. Eine feurige Kugel stieg aus der Erde auf, einen Schwefelgeruch hinterlassend. Sie flog bis zum Gipfel eines Baumes; dann fiel sie wieder herab. Als der Jäger näher zusah, da erblickte er in den Zweigen des Baumes einen riesigen Fuchs, der in den Vorderpfoten ein kleines rotes Fähnchen hielt. Kam der feurige Blitz ihm nahe, so strich er mit dem Fähnchen darüber hin, und sofort sank das Feuer wieder zu Boden. So ging es wohl eine Stunde lang, und der Donner konnte dem Fuchs nichts anhaben.
Der Jäger hatte noch immer seine Blicke auf das seltsame Schauspiel gerichtet, da kam eine schwarze Wolke zur Erde herab. Darin ringelte sich ein Drache. Er zeigte sich zu seinen Häupten. Dann wandte er sich nach dem Baum. Darauf kehrte er wieder um bis in seine Nähe.
Der Jäger erschrak zuerst, dann fiel ihm ein: »Der bittet mich wohl, dass ich ihm helfe.« So lud er denn seine Flinte und legte an. Der Drache erhob sich wieder zum Gipfel des Baumes, und der Blitz fuhr hinter ihm her. Aber der Fuchs wehrte ihn wieder mit dem Fähnchen ab. Unversehens feuerte der Jäger seine Flinte ab und traf den Fuchs. Das rote Fähnchen fiel zu Boden. Zugleich ertönte ein heftiger Donnerschlag, und der Fuchs war vom Feuer verzehrt.
Der Jäger hob das Fähnchen auf und sah es an. Es war aus einem alten Weiberrock gemacht. Offenbar hatte der Drache wegen seiner Unreinheit sich davon ferngehalten.
59. Der freundliche und der schlimme Fuchs
Es war einmal ein Mann, der ehrte die Füchse sehr. In seinem Zimmer hatte er einen Altar für sie errichtet; da zündete er täglich Weihrauch an. Und an allen Festtagen des Jahres brachte er als Speis- und Trankopfer Hühner und Wein dar. So ward sein Besitz von Tag zu Tag gemehrt. Trieb er Handel, so machte er stets reichen Gewinn. Bebaute er das Feld, so hatte er stets doppelte Ernten.
Zur Zeit der Taiping-Rebellion brachte der Mann seine ganzen Kornvorräte nach der Stadt in das Haus eines Verwandten, um der Plünderung zu entgehen. Im Haus seines Verwandten aber war ein Sohn. Der war dem Trunk und Spiel ergeben. Er stahl immer von dem Korn des Mannes. Er verkaufte es und brachte das Geld im Handumdrehen durch. Im Ganzen nahm er wohl an die hundert Scheffel. Als die Räuber sich aus der Gegend verzogen hatten, brachte der Bauer sein Getreide wieder nach Hause. Nun hätte man denken sollen, dass er beim Messen des Getreides bemerkt hätte, dass es sich verringert habe. Aber es hatte sich nicht nur nicht verringert, sondern noch dazu um beinahe hundert Scheffel vermehrt. Von da ab ward der Mann erst recht reich, so dass man in der ganzen Gegend von ihm sprach als dem reichen Mann von der Füchse Gnaden.
Er hatte einen Nachbarn, der war von Hause aus wohlhabend. Er war stark und mutig und in allen Fechtkünsten geübt. Sechs Männer konnte er zusammen in die Luft heben und wegtragen. Er trank gerne Wein und liebte den Verkehr, und alle Krieger, die in die Gegend kamen, besuchten ihn. Sein Haus war immer voll von Gästen, so dass im Laufe der Zeit sich sein Vermögen doch etwas verringerte. Schließlich wurde er alt, und seine Kräfte verfielen. Da suchte ein Fuchs sein Haus heim. Aber dieser Fuchs zeigte sich nicht durch Besessenheit eines Menschen, sondern richtete ohne weiteres allerlei Unfug an. Er ließ die Hausleute nicht zur Ruhe kommen. Bald zeigte sich vor dem Fenster eine Teufelsfratze, bald streckte sich zur Tür eine blaue Hand herein, die Speisen wegnahm, bald flog der Mühlstein in die Höhe und stürzte kreisend auf den Boden mit lautem Krachen, bald sah man in den Speisen, wenn sie eben anfingen gar zu werden, Hunde- oder Hühnerdreck, bald fielen, wenn die Frauen im Hause arbeiteten, handgroße Lehmstücke von der Decke
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