Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm
beim Pflügen.«
Dann rief er: »Hü!« wie’s die Bauern tun, wenn sie mit ihren Rindern sprechen.
Der Bauer sah genauer zu, da merkte er, dass es ein sprechender Fuchs war. Er wartete einen günstigen Augenblick ab, dann gab er ihm einen derben Schlag mit der Ochsenpeitsche. Er traf ihn gut. Der Fuchs schrie auf, machte einen Luftsprung und lief davon. Strohhut, Grasmantel und alles ließ er liegen. Wie der Bauer zusah, da war der Strohhut aus Kartoffelblättern geflochten. Er hatte ihn mit der Peitsche entzwei geschlagen. Der Grasmantel war aus Eichenblättern gemacht, die mit dünnen Gräschen verbunden waren. Die Hacke aber war ein Kauliang-Stängel, an dem ein Ziegelstück befestigt war.
Nach einiger Zeit ward eine Frau im Nachbardorf besessen. Man hängte ein Bild des Taoistenpapstes auf; aber der Geist entfernte sich nicht. Da kein Teufelsbeschwörer in der Nähe war und die Belästigungen unerträglich wurden, besprachen sich die Verwandten der Frau, in den Tempel des Kriegsgottes zu schicken und um Hilfe zu bitten.
Als der Fuchs das hörte, sagte er: »Euren Taoistenpapst und euren Kriegsgott fürchte ich nicht; ich fürchte nur den Nachbar Wang im Ostdorf, der mich mit seiner Peitsche einmal geschlagen hat.«
Das war den Leuten gerade recht. Sie schickten nach Ostdorf und machten dort den Wang ausfindig. Der nahm seine Ochsenpeitsche und trat ein.
Dann sprach er mit tiefer Stimme: »Wo, wo, wo? Ich bin dir schon lang auf der Spur. Jetzt habe ich dich endlich.«
Damit knallte er mit seiner Peitsche.
Der Fuchs fauchte und fuhr durchs Fenster hinaus.
Über hundert Jahre erzählte man sich von dem sprechenden Fuchs am Turmberg. Da kam einst ein geschickter Schütze in die Gegend, der sah ein Tier wie einen Fuchs mit einem feuerroten Fell, das auf dem Rücken graumeliert war; das lag unter einem Baum. Er legte an und schoß ihm einen Hinterfuß ab.
Da sprach es mit Menschenstimme: »Durch meine Schlafsucht habe ich mich in diese Gefahr gebracht; aber niemand kann seinem Schicksal entgehen. Wenn du mich fängst, so bekommst du für mein Fell höchstens fünftausend Kupferstücke. Willst du mich nicht lieber loslassen? Ich will dir es reichlich vergelten, dass alle deine Armut ein Ende hat.«
Aber der Schütze hörte nicht darauf, sondern schlug das Füchslein tot. Dann zog er ihm die Haut ab und verkaufte sie, und richtig bekam er fünftausend Kupferstücke dafür.
Von da an hatte der Spuk ein Ende.
62. Der Scherge
In einer Stadt in der Nähe der Kiautschou-Bucht war einmal ein Scherge namens Dung. Als er eines Tages von der Suche nach Dieben zurückkam, war die Dämmerung schon herein gebrochen. Ehe er den Fluss bei der Stadt durchwatete, setzte er sich am Ufer nieder, steckte sich ein Pfeife an und zog die Schuhe aus. Als er aufsah, erblickte er plötzlich einen Mann mit rotem Hut, in der Kleidung eines Schergen, der neben ihm kauerte.
Erstaunt fragte er ihn: »Wer bist du denn? Deiner Kleidung nach gehörst du auch zu unserem Beruf; aber ich habe dich in unserem Kreise noch nie gesehen. Erzähle bitte, wo du herkommst!«
Der andere sprach: »Ich bin von langer Reise müde und möchte mit dir zusammen eine Pfeife Tabak genießen. Ich denke, du wirst nichts dagegen haben.« Dung reichte ihm Tabak und Pfeife. Er aber sprach: »Das ist nicht nötig. Rauch du nur! Mir ist es genug, wenn ich’s rieche.«
So plauderten sie eine Weile miteinander und gingen zusammen durch den Fluss. Sie wurden allmählich vertrauter, und der andere sprach: »Ich will es dir offen heraus sagen, ich bin der oberste der Schergen der Unterwelt und stehe unter dem Gott des Großen Berges. Du bist auf der Oberwelt ein Scherge von Ruf. Ich kann mich mit meiner Geschicklichkeit in der Unterwelt wohl sehen lassen. Da wir so gut zueinander passen, möchte ich Brüderschaft mit dir schließen.«
Dung war es zufrieden und fragte: »Was führt dich eigentlich hierher?«
Der andere sprach: »In eurem Kreise wohnt einer namens Wang, der war früher Vorsteher des Getreidewesens und hat damals einen Offizier zum Tode gebracht. Der Mann verklagte ihn nun in der Unterwelt. Der Höllenfürst kann die Sache nicht entscheiden und hat daher den Herrn des Großen Berges gebeten, sie in Ordnung zu bringen. Der Herr des Großen Berges hat ihn nun dazu verurteilt, dass sein Besitz und sein Leben verkürzt werden solle. Erst soll auf der Oberwelt sein Vermögen eingezogen, dann soll seine Seele in die Hölle geschleppt werden. Ich bin vom
Weitere Kostenlose Bücher