Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm
Schreck und Furcht. »Ich bin freilich nicht der alte Vater,« sprach er; »aber der da ging heute mit einem Bauern an unserer Höhle vorüber und führte schlimme Reden und sagte, er wolle unser ganzes Geschlecht ausräuchern. Deswegen bin ich gekommen, um es ihm heimzuzahlen. Es ist noch einer mit mir gekommen, der hat den Bauern besessen gemacht. Da ihr mir aber nun eine Mahlzeit hergerichtet habt, so will ich gehen und auch meinen Genossen abholen.«
Nach diesen Worten fiel der Pächter aufs Bett und kam allmählich wieder zu sich.
Im Haus des Bauern war es ähnlich gegangen. Als der nach dem Nachtessen schlafen gehen wollte, wurden plötzlich seine Augen starr, und er ward wirr im Geiste. Es warf ihn auf den Boden, und dann sprang er wieder auf und hüpfte mehrere Fuß hoch auf der Erde umher, so dass er den Kopf an die Balken stieß. Dann schlug er sich auf die Brust und begann sich selber zu beschimpfen. »Seit alten Zeiten wohnen wir in der Berghöhle, und ihr wolltet uns ausräuchern!« kam es aus ihm hervor. Dann sprang er wieder in die Höhe, und niemand konnte ihn halten. Die Eltern begannen Gebete aufzusagen, ließen Weihrauch verbrennen und Wein zum Opfer herbeibringen. Aber es wurde nicht besser, bis jener Bauernbursche mit seinem Messer hereinkam.
Der redete ihn an: »Die beiden haben ja nur Scherz gemacht. Es ist ihnen nicht eingefallen, euch wirklich ausräuchern zu wollen. Ihr habt ihnen schon zur Genüge vergolten. Draußen wartet dein Kamerad auf dich. Marsch fort, sonst sollst du mein Messer zu kosten bekommen!«
Da kam es mit ängstlicher Stimme aus dem Bauern heraus: »Ich gehe ja schon, ich gehe ja schon.«
Von da ab hatten die beiden wieder Ruhe.
57. Fuchsfeuer
Es war einmal ein Bauer, der war jung und stark und kam eines Abends spät vom Markte heim. Der Weg führte an dem Garten eines reichen Herrn vorbei, in dem viel hohe Gebäude standen. Plötzlich sah er drinnen etwas Helles in die Höhe schweben, das leuchtete wie eine Kristallperle. Er wunderte sich darüber und stieg über die Mauer in den Garten, aber da war kein Mensch zu sehen; nur von weitem erblickte er ein Ding, das sah aus wie ein Hund und schaute nach dem Mond empor. Immer, wenn es den Atem ausstieß, kam eine Feuerkugel aus seinem Maul heraus, die stieg empor bis zum Mond. Wenn es den Atem einzog, so senkte sich die Kugel wieder herunter, und es fing sie mit dem Maule wieder auf. So ging es unaufhörlich fort. Da merkte der Bauer, dass es ein Fuchs war, der das Lebenselixier bereitete. Er versteckte sich nun im Gras und wartete, bis die Feuerkugel wieder herunterkam, ungefähr in die Höhe seines Kopfes. Da trat er eilends hervor und nahm sie weg. Sofort verschluckte er sie. Er fühlte, wie es heiß ihm die Brust hinunterging bis in die Gedärme hinein. Als der Fuchs es merkte, wurde er böse. Er blickte ihn wütend an, doch fürchtete er sich vor seiner Stärke; darum wagte er nicht, ihn anzugreifen, sondern ging zornig weg.
Von da ab konnte der Bauernbursche sich unsichtbar machen, er konnte Geister und Teufel sehen und hatte Verkehr mit der anderen Welt. Er konnte in Krankheitsfällen, wenn die Leute bewußtlos waren, ihre Seelen wieder zurückrufen und wenn sich jemand versündigt hatte, für ihn eintreten. Er verdiente sehr viel Geld auf diese Weise.
Als er sein fünfzigstes Jahr vollendet hatte, da zog er sich von all diesen Dingen zurück und übte seine Künste nicht mehr aus. An einem Sommerabend saß er in seinem Hof, um der Kühlung zu genießen. Er trank für sich allein einen Becher Wein um den andern. Um Mitternacht war er vollkommen betrunken. Er stemmte die Hände auf den Boden und erbrach sich. Da war es ihm plötzlich, als ob ihm jemand auf den Rücken klopfte. Das Erbrechen wurde heftiger, und schließlich sprang die Feuerkugel ihm zum Halse heraus.
Der andere nahm sie in die Hand und sprach: »Dreißig Jahre lang hast du meinen Schatz entlehnt. Aus einem armen Bauernburschen bist du ein reicher Mann geworden. Nun hast du genug. Ich möchte ihn wieder zurück haben.«
Da ward der Mann vollkommen nüchtern. Aber der Fuchs war weg.
58. Der Fuchs und der Donner
Es heißt, dass, wenn der Fuchs das Lebenselixier bereitet, er sich verwandeln kann. Er muss aber dreimal dem Schicksal des Todes durch den Donner entgehen, ehe er es zur Vollendung bringt. Das gelingt ihm nicht leicht. Er hat aber mehrere Arten, dem Schicksal zu entgehen. Manchmal verbirgt er sich im Hause eines vornehmen Mannes oder
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