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Maerchen aus Malula

Titel: Maerchen aus Malula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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Verachtung der Könige schwand dahin, und an ihre Stelle traten Sorge und Mißtrauen. Reisende erzählten voller Staunen vom märchenhaften Leben im Lande König Habibs. Ihre Zuhörer konnten kaum glauben, daß ein König in nur drei Zimmern lebte, und daß die übrigen fünfhundert Räume des Palastes von Handwerkern, Künstlern und Straßenkehrern bewohnt wurden. Noch unglaublicher erschien es den Bewohnern aller Nachbarreiche, daß in jenem Land die Menschen ohne Steuern, Götzen und Offiziere glücklicher lebten. Jeder durfte an seinen eigenen Gott glauben. Dreiundsiebzig Religionen zählten die Reisenden und staunten nicht weniger als ihre Zuhörer darüber, daß viele nur an sich selbst glaubten. Wie sollte einer so etwas für möglich halten?
    Wie gesagt, die Sorge der Nachbarkönige wuchs immer mehr. Eines Morgens rief König Habib seine Berater zu sich, und als sie sich alle am Teich des Gartens um ihn versammelt hatten, staunten sie über seine düstere Miene.
    »Am 14. August wird König Hussein uns angreifen.Er wird sagen, daß er den Krieg gegen uns führt, weil wir gottlos seien. Dreißigtausend Fußsoldaten, fünfhundert Reiter und etwa hundert Schiffe werden uns zu See und zu Lande angreifen. Erst werden die Schiffe unsere Hauptstadt belagern und mit Pfeilen und Steinen zu zerstören versuchen, dann rückt die Armee vom Lande heran, nicht, wie man erwarten könnte, über die Ebene, sondern von den Bergen her wollen sie uns überraschen und unsere fruchtbare Ebene angreifen.«
    »Aber Habib«, staunte der Wesir, »der 14. August ist erst in drei Monaten. Hast du das im Traum gesehen?«
    »Und so ausführlich wie der biblische Joseph?« machte sich einer der Berater über Habib lustig. Doch der König schaute ihn nur verärgert an.
    »Glaubt ihr wirklich, ich habe die ganze Zeit geschlafen? Ich habe all das erfahren, weil ich den Herrschern der Nachbarreiche nicht zutraute, daß sie uns den Frieden gönnen. Allein im Reiche Husseins habe ich siebenhundert Augen, die Tag und Nacht jedes Gespräch und jedes Geschehen genau beobachten und mir durch Kuriere mitteilen, was im Lande gegen uns gedacht oder gemacht wird. Nicht einmal das Schlafzimmer Husseins ist unseren Augen verschlossen geblieben. So, und nur so, können wir unser Glück schützen.« Totenstille herrschte.
    »Und ich dachte, du seist ein Träumer«, versuchte Rotatkid zu scherzen.
    »Bin ich auch«, erwiderte der König und beriet sich dann lange mit seinen Vertrauten.
    Am nächsten Tag trafen sich viele Bergbauern, Seeleute, Fischer, Schmiede und Hexen im großen Garten und berieten sich bis zur Morgendämmerung. Kuriere stiegen immer wieder auf ihre Pferde und ritten davon. Drei Tage lang glich der Garten einem Bienenstock, und als die Nacht ihren kühlen Mantel über die hitzig Streitenden warf, wußte jede Gasse und das kleinste Dorf im Lande vom bevorstehenden Angriff, der im Nachbarreich nur dem kleinen Kreis der Mächtigen bekannt war.
    Auf den Tag genau rief König Hussein vom Balkon seines Palastes zum Heiligen Krieg auf. Seine Worte bewegten seine Untertanen dermaßen, daß viele bereit waren, nicht nur das kleine Nachbarland, sondern gleich die ganze Welt anzugreifen. Doch weit kamen die Truppen nicht. Die Reiter und Fußsoldaten wurden noch auf eigenem Boden Nacht für Nacht angegriffen. Die Soldaten erzählten einander voller Furcht, daß sie in der Nacht entführt worden seien. Sie wurden reichlich bewirtet und unterhalten, bis kurz vor der Morgendämmerung plötzlich Todesengel gekommen seien und sie gewarnt hätten, daß sie verspeist werden würden, wenn sie nicht unverzüglich nach Hause zurückkehrten. So flohen die Soldaten, und nur wenige Erschöpfte erreichten die Berge des Nachbarreiches, aber statt den Feind zu überraschen, wie man ihnen versprochen hatte,war ihre Überraschung groß, als sie mitten in einer Schlucht umzingelt wurden. Sie waren hoffnungslos und halb verhungert, doch nur die Offiziere wurden mit je hundert Hieben bestraft. Die Soldaten bekamen zu essen und zu trinken. Am nächsten Tag verabschiedeten sie sich beschämt von ihren Gastgebern und eilten nach Hause.
    Nicht anders erging es Husseins Seeleuten. Noch weit entfernt von der Küste wurden ihre Schiffe leckgeschlagen. Die Truppen wären ertrunken, hätten nicht Tausende von Fischern mit ihren kleinen Booten sie gerettet. Sie wurden nicht gefangengenommen, sondern bewirtet und nach Hause gebracht. Nur die Seeoffiziere mußten Hiebe über sich

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