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Maerchen aus Malula

Titel: Maerchen aus Malula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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erzählten, das in Ähren stand, barst er vor Wut. ›Was für Idioten habe ich hinter der verschlagenen Schlange hergeschickt?‹ brüllte er und ließ die Schar enthaupten, dann peitschte er eigenhändig so lange die Zofe aus, bis sie zusammenbrach und ihr Geheimnis preisgab.
    ›Dieses verfluchte Dorf!‹ schnaubte der König. ›Es reicht nicht, daß diese Barbaren meine Soldaten verderben. Nun nehmen sie mir auch noch meine eigeneTochter. Auf nach Malula!‹ schrie er seinen versammelten Offizieren entgegen. Das Heer des Königs füllte die Ebene unterhalb von Malula, und der aufgewirbelte Staub bedeckte den Himmel.
    Takla erkannte die Fahnen ihres Vaters. Sie bot den Malulianern an, das Dorf zu verlassen, um es vor dem Zorn des Königs zu schützen, doch die Malulianer lehnten ab. ›Wer in Malula Zuflucht findet‹, beruhigte sie der weise Dorfälteste, ›hat auch einen Platz in unserem Herzen gefunden.‹ Er schickte Takla mit den Kindern in eine Höhle in der Felsmauer und erwartete auf dem Dorfplatz die Ankunft des Königs. Als dieser ankam, schrie er dem Dorfältesten und seinen Begleitern zu, er solle Takla herausgeben. Doch der alte Mann lächelte. ›Majestät‹, sagte er leise, ›du bist der langen Reise müde. Beehre mich mit deinem Besuch in meinem bescheidenen Haus. Wir haben hier in den Bergen sogar im Sommer Schnee, und ein kühles Rosinenwasser wird dein edles Herz erfrischen. Ich verstehe als Vater deinen Zorn, doch Takla hat ihren Weg gewählt und unser Dorf erreicht …‹
    ›Halt den Mund, alter Barbar‹, unterbrach ihn ein Wesir des Königs, ›und wenn du mit dem König aller Könige redest, so knie nieder vor dem liebsten Sohn der Götter!‹ Er schlug dem Dorfältesten mit der Peitsche ins Gesicht. Einige junge Kämpfer des Dorfes wollten ihre Schwerter ziehen, doch der weise alte Mann hob seine Hand. ›Ich bin ein einfacher Bauer‹, erwiderte er, ›doch eines Abends hörte ich ein Schafzu einem anderen sagen, wie göttlich ist doch der Mensch, er kann mit seinen Händen nach den Sternen greifen. Seitdem knie ich vor niemandem. Ich will nicht, daß die Schafe mich zu ihresgleichen zählen!‹ Er wandte sich zum König. ›Mein bescheidenes Haus beehrt sich, dir Schatten und Freundschaft zu schenken.‹
    ›Wir sind nicht hier, um Märchen zu hören. Gib Takla heraus, oder du stirbst‹, schrie der Kronprinz, Taklas ältester Bruder, als er merkte, daß der König bei den Worten des alten Mannes nachdenklich wurde.
    ›Mein Sohn‹, erwiderte der alte Mann. ›Du drohst mir mit dem unvermeidlichen Reiseziel eines jeden Menschen seit Gilgamesch. Ich bin alt. Wenn ich sterbe, wird das Dorf mich kurz beweinen, aber der Zukunft mit erhobenem Haupt entgegenblicken. Wenn ich aber für mein billiges Leben Takla ausliefere, wird uns die Schmach unserer Feigheit und der Fluch von Malula jeden Tag aufs neue töten. Wenn du erlaubst, werde ich dir die Geschichte dieser Fee erzählen, die uns verpflichtet …‹ Doch der alte Mann brach bei diesen Worten vom Speer des Kronprinzen getroffen zusammen. Wie aus seinen Gedanken aufgeweckt rief der König: ›Alle zu mir. Holt euch Takla!‹ Und die Soldaten griffen das Dorf an. Sie steckten die Häuser in Brand, und die Malulianer kämpften drei volle Tage, bis keine Frau und kein Mann mehr lebten, doch Takla fanden die Eroberernicht unter den Toten. ›Ich weiß, daß sie da ist. Ich fühle es. Sie ist da. Sucht weiter!‹ rief der König immer wieder in seinem Zelt. Doch auch als das ganze Dorf ein einziges Flammenmeer war und das Feuer die letzte Katze und die letzte Maus aus den Ruinen vertrieben hatte, war Takla nicht aufgetaucht. Nun aber erblickte der Kronprinz den Eingang der Höhle in der Felswand. ›Hier ist sie‹, rief er und schickte nach seinem Vater. Der König ritt, von seinen Offizieren begleitet, zu der bezeichneten Stelle. ›Takla!‹ brüllte er, und seine Stimme hallte in den Felsen wider, unter denen schweigend die Soldaten standen. ›Takla, du hast dem Dorf Mord und Totschlag gebracht. Komm heraus.‹ Takla wollte sich ergeben, um die mit ihr verborgenen Kinder zu retten, doch diese klammerten sich an sie und weinten. ›Takla‹, brüllte der König, der nun durch das Geheul der Kinder sicher war, daß seine Tochter sich in diesem Versteck aufhielt. ›Nur meine Leiche könnt ihr haben, ihr Mörder‹, rief Takla zurück. Der Eingang der Höhle lag mehr als zwanzig Mann hoch über dem Boden, man konnte nur durch eine

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