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Maerchen aus Malula

Titel: Maerchen aus Malula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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daß Großvater wiederkommen würde, und irgendwann, zweioder drei Wochen später, kam er tatsächlich. Er saß auf seinem Felsen, aber diesmal ließ ich ihn nicht reden. Ich wollte ihm sagen, wie sehr mein Herz nach ihm gebrannt hatte. »Leppa charah a’lach.« Er lachte laut, legte seine Flinte auf den Felsen und kugelte sich vor Lachen. Ich war der Überraschung sicher gewesen, aber ihr Ausmaß versetzte mich in Staunen. Langsam kam er zu sich. »Zum Schießen, wie du so aufgeblasen falsch redest. Es heißt: Lippi charah a’lach«, korrigierte er und küßte mich zärtlich auf den Kopf.

 
    WARUM DER FISCH SPUCKTE
    oder
    VON DER GEFAHR
    DES BLINDEN VERTRAUENS
     
    Man erzählt: Die Sterne waren einmal Träume, die sich in den Himmel erhoben haben, weil die Erde zu eng für sie wurde. Sie erhellen die Nacht und zeigen Wege, doch sie entziehen sich jedem Griff.
    Doch immer wieder erlebt auch die Erde eine Sternstunde, und von einer solchen erzählt diese Geschichte.
    König Habib lebte vor langer Zeit. Als er den Thron bestieg, löste er die Armee auf und schickte die Polizisten, Steuereintreiber und Wächter nach Hause.
    Eine Welle der Hoffnung und Erleichterung breitete sich über das Land aus, dochdie Händler der Hauptstadt bekamen große Angst. »Das kann nicht gutgehen«, stöhnten sie, und das wunderte ihre Kunden, die gerade anfingen, frei aufzuatmen. Viele dachten, die Händler irrten sich, da der Handel ja bekanntlich im Frieden blüht. Händler sind aber gute Propheten. Sie irren sich selten, und in diesem Fall versagte ihre Hellsicht am wenigsten.
    Eines schönen Morgens rief der junge König seine engsten Berater zusammen und erklärte ihnen, daß er nun das Übel an der Wurzel packen wolle.
    »Und wie gedenkst du, das anzustellen?« fragte ihn sein liebster Wesir. Er hieß Rotatkid und war seit der Kindheit Spielkamerad und Geheimnisträger des Königs Habib.
    »Die Gemeinschaft hat alles und ein einzelner nichts. So einfach ist das!« Doch als der König die offenen Münder seiner Berater sah, lächelte er und erläuterte seine Wurzelbehandlung näher: »Habt ihr jemals eine Hand, einen Fuß oder gar einen Kopf gesehen, die alleine was taugen? Eine Gemeinschaft, deren Füße schwach sind, deren Bauch groß ist und deren Kopf sich nur damit beschäftigt, seine Haare zu vergolden, hat keine Zukunft. Ab heute gehört alles der Gemeinschaft. Der einzelne besitzt nur sein Kleid und seinen Traum.«
    »Das ist das Ende«, flüsterte Rotatkid, doch als der König ihn fragte, was er damit meine, rief er: »Dein Beschluß ist weise, all das muß zentral organisiert …«
    »Rotatkid, mein Freund, das haben die ägyptischen Sklaven schon versucht. Sie fegten mit Mut und Opferbereitschaft die Herrscher hinweg und setzten diePriester ein, um den jungen wunderbaren Staat, wie du sagst, zentral zu organisieren, aber es dauerte nicht lange, und die Priester waren die Herrscher, und alles fing wieder von vorne an. Nein, jedes Dorf, jede Straße meiner Hauptstadt muß wie ein eigener Körper lebensfähig sein. So lebt, leidet und vergnügt man sich zusammen.«
    »Aber was ist, wenn die Händler sich gegen dich auflehnen?« fragte einer der Berater.
    »Die seit Jahrhunderten Hungernden werden mich schützen«, erwiderte König Habib.
    »Und was ist, wenn die Nachbarreiche uns angreifen? Es liegt auf der Hand, daß die Könige eine solche Gesinnung mehr als die Pest fürchten«, stellte Rotatkid fest.
    »Du hast recht, mein kluger Freund, daran habe ich auch gedacht. Ich habe die Armee aufgelöst und den Völkern der Welt den Frieden erklärt, doch der Frieden der Völker ist eine Kriegserklärung an ihre Herrscher. Ich habe deshalb beschlossen, die Lehre eines großen Chinesen zu beherzigen. Er schrieb Wunderbares darüber, wie man seine Gegner durchschaut. Ich werde das Auge sein, das das Glück unserer Gemeinschaft schützt.«
    Wie gesagt, die Händler irrten sich nicht, denn am nächsten Tag herrschte Chaos im Lande, nachdem sich die Nachricht verbreitet hatte, daß jedem nur Kleid und Traum gehören sollten.
    Nach und nach aber errichteten die LeuteVorratskammern, Gemeinschaftsmühlen und Theater. Die Menschen arbeiteten weniger und genossen dafür mehr ihr Leben. Doch auch der kluge Wesir hatte sich nicht geirrt, denn die Könige der benachbarten Reiche schauten erst verächtlich auf das Land und erwarteten, daß es bald zugrunde gehen würde, doch die Gemeinschaft blühte von Tag zu Tag immer mehr auf. Die

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