Maerchen aus Malula
lächelten verlegen. »Hinaus mit dir. Ich will dich beim Frühstück nicht sehen«, schrie die Witwe. Und als sich Aida weigerte hinauszugehen, befahl die Mutter ihrem jüngeren Sohn, seine Frau zu verprügeln. Aida heulte, doch sie klammerte sich mit letzter Kraft an den Tisch, bis sie ihn fast umkippte. Da stand der zweite Bruder auf und trat kräftig gegen ihre Hände, bis sie den Tisch losließ.
Am nächsten Morgen rief die Witwe: »Süße Schwiegertochter, du sollst nichts brechen und Zerbrochenes nicht essen, auch nichts verschlingen, aber du wirst wie eine Taube, die alles aufpickt, bei uns gut ernährt.«
»Gesagt, getan!« rief Aida, nahm den kleinen Honigtopf und schleckte ihn aus.
»Was machst du, unverschämtes Ding?« schrie die Mutter.
»Ich habe nur deine edlen Worte befolgt«, antwortete Aida. »Ich habe nichts gebrochen und nichts verschlungen. Ich habe den Honig ganz ausgeschleckt.« Als die andere Schwiegertochter das hörte, stand sie auf, nahm zwei Tomaten und einen Apfel und verschlang sie so schnell, daß sie sich beinahe daran verschluckt hätte.
»Aber Täubchen!« entsetzte sich die Schwiegermutter.
»Heute verschlinge ich die Früchte, und morgen lecke ich die Töpfe aus«, lachte diese frech. Da ließ die Schwiegermutter ihren jüngeren Sohn auf Aida einhauen. Das tat er so kräftig, daß Aida in Ohnmacht fiel. Nun stand der andere Bruder auf und ohrfeigte seine Frau.
In den nächsten Wochen wurde die Mutter immer blasser, denn die Schwiegertöchter genossen, verzehrten, tafelten, schmausten, verdrückten, naschten, fraßen, nagten und schlugen sich den Bauch voll mit allem, was in ihre Hände fiel. Ihnen schienen die Schläge ihrer Männer leichter ertragbar als der Hunger. Tag für Tag klopfte die Schwiegermutter die vergipsten Löcher zu den Zimmern ihrer Söhne frei.
»Paß auf, Schwiegermutter. Deine Nase wird dich noch ins Grab bringen«, zürnte Aida.
»Ach was, dummes Zeug. Aber sei sicher, meine Süße, deine Gier wird dir noch übel bekommen«, erwiderte die Alte und lachte.
Sieben Wochen lang stopften die Schwiegertöchter die Löcher in der Nacht zu, und die Witwe klopfte sie am nächsten Morgen frei.
Eines Nachts freute sich die Schwiegermutter, als sie sah, daß die Nachteule Aida sehr früh ins Bett ging. Sie setzte sich an das andere Loch und ermahnte ihren Sohn, endlich zu schlafen, doch der Sohn schien an diesem Abend ein besonderes Vergnügen zu haben. Lange dauerte es, bis es endlich ruhig wurde. Müde wollte sie sich ins Bett legen, doch plötzlich hörte sie ein Flüstern vom anderen Loch. Sie stand auf und näherte sich auf Zehenspitzen der Öffnung. »Geh zurück«, zischte eine Stimme leise, »ich bin die Schlange der langen Nasen. Geh schlafen.« Ein kalter Schauer lief der Schwiegermutter über den Rücken. »Eine Schlange bei meinem Herzchen!« rief sie entsetzt und wollte ihren Kopf durch das Loch stecken, doch plötzlich spürte sie einen Biß in die Spitze ihrer Nase. Sie schrie auf und machte das Licht an, da sah sie eine Schlange in ihrem Zimmer. »Weh mir, eine Schlange hat mich gebissen«, kreischte sie laut. Ihre Söhne sprangen erschrocken aus ihren Betten und eilten zu ihr. Die Schlange war immer noch im Zimmer. Der ältere Sohn nahm einen Stock und erschlug das Reptil, gerade als die zwei Schwiegertöchter ins Zimmer kamen.
»Ich sauge ihr das Gift aus!« rief Aida. Statt aber zu saugen, biß sie die Schwiegermutter so kräftig in die Nase, daß diese ohnmächtig wurde.
»Wir müssen sie schnell ausziehen, damit sie wieder atmen kann. Die Kleider sind sehr eng«, sprach Aida und wandte sich zu den Söhnen: »Geht hinaus, das ist Frauensache!«
Wie benommen schleiften die Ehemänner ihre schweren Füße hinaus. Die Schwiegertöchter zogen die Witwe aus. Was sie sahen, verschlug ihnen die Sprache. Sie entdeckten nicht nur die Schlüssel zum Vorratskeller und zur Brottruhe, sondern Hunderte von Goldmünzen, die einzeln in kleinen Täschchen im Unterrock eingenäht waren. Aida teilte die Goldmünzen mit der anderen Schwiegertochter, zerriß den Unterrock und rief laut: »Gebt uns Essig, Knoblauch und einen frischen Unterrock!« Ihr Mann brachte schnell die gewünschten Dinge und steckte sie durch den Türspalt. Er war beruhigt, als er seine Mutter leise stöhnen hörte. »Sie bringen sie wieder auf die Beine«, sagte er erleichtert zu seinem Bruder.
Es dauerte bis zur Morgendämmerung. Aida kam erschöpft heraus. »Sie schläft. Es ist
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