Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre
einem Geizkragen hundert Dinar schuldig.
„Wann wirst du mir die hundert Dinar zurückgeben?“ fragte ihn der Geizige. „Meinetwegen auf der Stelle, nur habe ich gerade kein Geld bei mir.“
„Das sagst du jedes Mal, Hero. Es tut mir leid, wir gehen zum Richter.“ Doch Hero hatte dazu keine Lust.
„Was fällt dir ein! Kann ich denn in einem so zerrissenen Mantel vor den Richtertreten?“
„Das ist wahr“, sagte der Geizkragen verdutzt. „So will ich dir meinen Rock borgen, doch vor den Richter mußt du.“
Der Geizhals lieh Hero seinen Rock, und sie gingen also.
„Barmherziger Richter“, sprach der Geizkragen. „Der Spaßmacher hier ist mir hundert Dinar schuldig und will sie nicht zurückgeben.“
„Das ist nicht wahr“, entrüstete sich der Angeklagte. „Dieser Mensch ist verrückt geworden. Wenn du auf ihn hörst, wird er vielleicht noch behaupten, daß ihm der Rock gehört, den ich trage.“
„Natürlich ist das mein Rock!“ schrie der Geizkragen erbost und versuchte, Hero den Rock herunterzureißen.
„Nun siehst du, gnädiger Richter“, sagte Hero, „was das für einer ist. Habe ich recht oder nicht?“
„Ja, du hast recht“, stellte der Richter fest und warf den Geizkragen hinaus.
Das Gespensterhaus
Ein Märchen aus England
In einer englischen Stadt wohnte einst ein alter Mann einsam in einem windschiefen Häuschen. Wovon lebt er eigentlich? fragten sich die Leute. Keiner wußte es. Reich konnte er nicht sein, das sah man auf den ersten Blick. Gerüchte sind schnell fertig. Und so wollten auf einmal viele wissen, er ließe sich von allerlei Hausgeistern bedienen und habe den dunklen Mächten seine Seele verschrieben.
Eines Nachts brauste ein fürchterliches Wintergewitter über die Stadt und nahm auch das Dach vom Haus des alten Tom mit. Naß und frierend saß er am Morgen in seinem armseligen Zimmer.
„Jetzt wird man es ja sehen“, sagten die Leute. Aber man sah nichts. Ein Tag verging, ein zweiter, das Dach kam nicht wieder, die Hütte wurde nicht von Geisterhänden in Ordnung gebracht.
Als die Nachbarn ihn bemitleiden wollten, sagte Tom gelassen: „Macht nichts! Alt wie es war, mußte es ja eines Tages zusammenbrechen. Such ich mir eben ein anderes Haus.“
„Und warum ziehst du nicht ins Gespensterhaus ein, alter Tom?“ fragte einer der Nachbarn lauernd.
„Das wäre doch gerade das richtige für dich“, sprach ein anderer.
„Hast ja immer gesagt, du fürchtest dich vor nichts und niemandem, nicht einmal vor dem Tod“, fügte ein dritter hinzu.
Der alte Tom nickte: „Und wo steht es?“
„Am andern Ende der Stadt zwischen Fluß und Wald, es ist ohne Mietzins zu haben. Seit fünf Jahren spukt es darin.“
Dem alten Tom brauchte man das nicht zweimal zu sagen. Bisher hatte niemand von diesem Hause gesprochen, aber wenn es frei und ohne Mietzins zu haben war, warum nicht! So schnürte er sein Bündel, lud seine paar Habseligkeiten auf einen Karren und langte am Abend vor dem hohen, festgefügten Hause an, das allerdings von oben bis unten mit Spinnweben überzogen war. Der Eigentümer hatte sich längst in einer anderen Gegend angesiedelt. Vor Jahren war das Haus zum Verkauf angeboten worden, aber niemand hatte zugegriffen. So stand es jetzt verödet da, nur von Spinnen bewohnt und von dem Gespenst.
Der Schankwirt nebenan besaß die Schlüssel.
„Laß das sein, alter Tom, am Ende vertreibst du das Gespenst, und es siedelt sich bei mir an. Soll der Geist doch dort bleiben. Er stört ja niemanden.“ Leise setzte er hinzu: „Es ist ein angenehmer Geist, mit Manieren, kein Polterer. Er schleicht ein bißchen über die Treppen, hüstelt und krächzt, klappert mit den Fensterläden und quietscht mit den Ofentüren. Nur bei Gewitter gerät er außer Rand und Band. Dann spielt er auf der alten Geige, die in der Halle hängt, und man meint ein ganzes Orchester zu hören. Dabei hat die Geige nur eine einzige Saite. Sehr angenehm ist das natürlich nicht, aber mir paßt es nicht schlecht. Es kommen immer wieder Leute in meine Wirtschaft, die sich gern ein bißchen gruseln wollen. Also laß dem Gespenst seinen Frieden. Ziehe bei mir ein, alter Tom. Ich werde dir keine hohe Rechnung machen, und du kannst dir immer noch etwas nebenbei verdienen.“
Doch Tom blieb taub gegen die Einwände des Wirtes. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, in das Gespensterhaus zu ziehen. Das Haus war auch innen ansehnlich und gut eingerichtet.
Als Tom sich alles angeschaut hatte,
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