Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre
machte er mit dem vielen Brennholz im Kamin ein tüchtiges Feuer. Dann holte er sich aus der Schankwirtschaft zwei Flaschen Branntwein, nicht von dem schlechtesten, und freute sich, den unfreundlichen Winterabend mit soviel Wärme von außen und innen verbringen zu können.
Nachdem er alle Türen fest verschlossen hatte, setzte er sich an den Kamin, holte sich eins der vielen Bücher aus den Regalen und trank dabei eine Buddel leer.
Um Mitternacht - Tom war im Lehnstuhl eingenickt - wehte ihm ein kaltes Lüftchen um die Nase. Der Alte machte die Augen auf: Vor ihm stand der Geist, sehr lang, sehr dünn, klappernd, krächzend und hustend.
„Nun, Tom, Alterchen, hehe, wie geht es dir? Hast dir ein schönes Feuerchen angemacht. Das muß man loben. Da kann ich mich wohl etwas mit aufwärmen?“ „Warum nicht?“ Tom rieb sich die Augen. „Doch sag mal, woher kennst du mich eigentlich, großer Geigenspieler? Von heute an bin ich der Herr dieses Hauses. Du nennst mich beim Namen, aber wie heißt du? Schließlich muß ich meinen Untermieter doch kennenIernen.“
Der Geist beschnupperte die Branntweinflaschen auf dem Tisch, lehnte sich an den Kamin und hüstelte: „Gespenster sind namenlos.“
„Also gut, dann werde ich dich Klappergeist nennen, und woher weißt du, wie ich heiße?“
„Was fragst du so töricht? Nichts leichter, als einen Namen zu erraten. Ein Geist vermag alles.“
„Alles? Erstaunlich! Und wie bist du in diese Halle gekommen? Alle Türen waren doch abgeschlossen, die Fensterläden verriegelt. Verrate mir dein Geheimnis! Wenn ich dich erst gut kenne, dann soll es mich nicht stören, daß du hier in meinem Hause wohnst.“
Der Geist lachte blechern. „Hineingekommen? Ein Gespenst kommt überall hinein und geht auch durch alles hindurch.“
„Überall hinein und durch alles hindurch? Allerhand! Aber durch die Türe bist du nicht gekommen, die quietscht, und das hätte ich gehört.“
„Hehe, freilich nicht durch die Tür - und doch durch die Tür. Also rate mal!“ „Schlüsselloch?“
„Gewiß doch, durchs Schlüsselloch!“
„Ha-ha-ha“, lachte Tom, „und das soll ich dir glauben?“
„Glauben oder nicht, was kümmert mich das?“ Der Geist langte sich die Geige von der Wand und begann auf der einen Saite wohl fünfzigmal die Tonleiter auf und ab zu quietschen.
„Spiel von mir aus, bis auch diese Saite reißt. Schön klingt es nicht, doch ich werde mich daran gewöhnen. Nur das mit dem Schlüsselloch, das gefällt mir nicht. Kannst ja überall herumschnüffeln.“
„Auch daran wirst du dich gewöhnen müssen, Tom, und noch an ganz anderes. Ich werde dich hinausgraulen, wie ich alle Bewohner vor dir vertrieben habe. Ich war früher ein reicher Mann und liebe es nun mal nicht, mit anderen zusammen zu wohnen.“ „Ja, so ist das“, sprach Tom ganz ruhig. „Wenn es stimmt, daß du durch so ein kleines Loch hindurchkommst, so ziehe ich morgen wieder aus. Laß uns wetten!“
Das Gespenst nickte befriedigt: „Das ist verständig.“
„Aber ich will es sehen“, forderte der Alte, „will wissen, wie du dich zusammenziehst und wieder ausdehnst.“ Der Geist glotzte.
„Also gut, morgen um Mitternacht.“
„Warum nicht heute und gleich hier?“ Tom griff nach der leeren Branntweinflasche. „Diese Öffnung ist sogar um einiges größer als ein Schlüsselloch. Wenn du vor meinen Augen hineingehst, fühle ich mich besiegt und lasse dich wieder allein hausen. Aber das kannst du natürlich nicht.“
Das Gespenst lachte: „Durch so ein Loch? Kleinigkeit!“ Es schnüffelte an dem Flaschenhals. „Gute Marke, habe ich früher auch getrunken. Schmeckt mir leider nicht mehr. Aber der Geruch ist mir wenigstens nicht unangenehm. Also paß auf!“
Das Gespenst wurde dünn, fädelte sich geschickt durch den Flaschenhals und zog sich dann in der Flasche wieder zusammen. Drinnen war es klein wie ein Fingerhütchen. „Na, genügt dir das?“ raunte es.
Tom stöpselte die Flasche zu, band sorgsam den Korken mit Draht am Flaschenhals fest und rief lachend: „Jawohl, das genügt mir, du hast wirklich ausgezeichnet gearbeitet. Ein Gespenst kommt überall hinein und geht auch durch alles wieder hindurch, so sagtest du doch. Nun zeige mir, wie du das machst.“
„Nimm den Korken ab“, hörte Tom ein dünnes Stimmchen sagen.
„Ach, so denkst du dir das? Ich will aber sehen, wie du durch alles hindurchkommst, auch durch das Glas oder durch einen festen Korken.“
Vergnügt sah Tom
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