Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre
wüßte, nie zu eigensinnig und nie zu nachgebend, so wäre mancher wohl leicht zur Besinnung zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen. Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen und mußte vieles entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So kam einmal der Herr sehr verdrießlich nach Hause und setzte sich zum Mittagessen. Da war die Suppe zu heiß oder zu kalt oder keines von beiden; aber genug, der Herr war verdrießlich. Er faßte daher die Schüssel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene Fenster in den Hof hinab. Was tat der Diener? Kurz besonnen warf er das Fleisch, welches er eben auf den Tisch stellen wollte, mir nichts, dir nichts der Suppe nach und auch in den Hof hinab, dann das Brot, dann den Wein und endlich das Tischtuch mit allem, was noch darauf war.
„Verwegener, was soll das sein?“ fragte der Herr und fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf.
Aber der Bediente erwiderte kalt und ruhig: „Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders, als Sie wollten heute in dem Hof speisen. Die Luft ist so heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blüht und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten.“
Diesmal die Suppe hinabgeworfen und nimmer! Der Herr erkannte seinen Fehler, heiterte sich im Anblick des schönen Frühlingshimmels auf, lächelte heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters und dankte ihm im Herzen für die gute Lehre. Johann Peter Hebel
Das kluge Gretel
Ein Märchen aus Deutschland
Es war eine Köchin, die hieß Gretel. Sie trug Schuhe mit roten Absätzen, und wenn sie damit ausging, so drehte sie sich hin und her, war ganz fröhlich und dachte, du bist doch ein schönes Mädel! Und wenn sie nach Hause kam, so trank sie aus Fröhlichkeit einen Schluck Wein, und weil der Wein auch Lust zum Essen macht, so versuchte sie das Beste, was sie kochte, so lang, bis sic satt war. Und sprach: „Die Köchin muß wissen, wie ’s Essen schmeckt.“
Es trug sich zu, daß der Herr einmal zu ihr sagte: „Gretel, heut abend kommt ein Gast, richte mir zwei Hühner fein wohl zu.“
„Will’s schon machen, Herr“, antwortete Gretel.
Nun stach’s die Hühner ab, rupfte sie, steckte sie an den Spieß und brachte sie, wie’s gegen Abend ging, zum Feuer, damit sie braten sollten. Die Hühner fingen an braun und gar zu werden, aber der Gast war noch immer nicht gekommen.
Da rief Gretel dem Herrn: „Kommt der Gast nicht, so muß ich die Hühner vom Feuer tun, ist aber Jammer und Schade, wenn sie nicht bald gegessen werden, wo sie am besten im Saft sind.“
Sprach der Herr: „So will ich nun selbst laufen und den Gast holen.“
Als der Herr den Rücken gekehrt hatte, legte Gretel den Spieß mit den Hühnern beiseite und dachte: So lange da beim Feuer stehen, macht schwitzen und durstig. Wer weiß, wann die kommen! Derweil spring ich in den Keller und tue einen Schluck. Lief hinab, setzte einen Krug an, sprach: „Gott gesegn’ es dir, Gretel“, und tat einen guten Zug.
„Der Wein hängt aneinander“, sprach’s weiter, „und ist nicht gut abbrechen“ und tat noch einen ernsthaften Zug.
Nun ging es und stellte die Hühner wieder übers Feuer, strich sie mit Butter und trieb den Spieß lustig herum. Weil aber der Braten so gut roch, dachte Gretel, es könnte etwas fehlen, versucht muß er werden! Schleckte mit dem Finger und sprach: „Ei, was sind die Hühner so gut. Ist ja Sünd und Schand, daß man sie nicht gleich ißt.“
Lief zum Fenster, ob der Herr mit dem Gast noch nicht käm, aber es sah niemand. Stellte sich wieder zu den Hühnern, dachte: Der eine Flügel verbrennt, besser ist’s, ich eß ihn weg. Also schnitt es ihn ab und aß ihn auf, und er schmeckte ihm. Und wie es damit fertig war, dachte es, der andere muß auch herab, sonst merkt der Herr, daß etwas fehlt. Wie die zwei Flügel verzehrt waren, ging es wieder und schaute nach dem Herrn und sah ihn nicht. Wer weiß, fiel ihm ein, sie kommen wohl gar nicht und sind wo eingekehrt.
Da sprach’s: „Hei, Gretel, sei guter Dinge, das eine ist doch angegriffen, tu noch einen frischen Trunk und iß es vollends auf. Wenn’s all ist, hast du Ruhe. Warum soll die gute Gottesgabe umkommen?“
Also lief es noch einmal in den Keller, tat einen ehrbaren Trunk und aß das Huhn in aller Freudigkeit auf.
Wie das eine Huhn hinunter war und der Herr noch immer nicht kam,
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