Märchen unter dem Wüsenhimmel
Bahania.“
„Wer?“
„Bahania – unser Nachbar im Nordosten. Mein Vater sagt immer, dass er mit seinen drei Söhnen viel geringere Probleme hat als der König von Bahania, der vier Söhne und eine Tochter hat. Die beiden sind gute Freunde. Meine Brüder und ich dachten schon, dass es zu arrangierten Ehen kommen würde, aber meine Großmutter stammt aus Bahania, und daher war Inzucht zu befürchten.“
„Dein Vater arrangiert Ehen für seine Söhne?“
„Natürlich. Wir sind eine königliche Familie.“
„Aber du führst keine arrangierte Ehe.“ Entsetzen stieg in ihr auf. „Oder doch? Du hast andere Frauen.“ Ihr Magen verkrampfte sich. War El Bahar nicht moslemisch? Waren Männern nicht vier Frauen gestattet?
Khalil lachte. „Du siehst so erschrocken aus wie eine Maus, die von einem Habicht gefressen werden soll. Ich habe keine andere Frau als dich, Dora. In El Bahar herrscht Religionsfreiheit, aber ein Mann darf sich nur eine Frau nehmen. Mein Vater behauptet, dass für einige Männer schon eine Frau zu viel ist.“
Sie befeuchtete sich die ausgedörrten Lippen. „Bist du sicher?“
„Ziemlich. Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht und bin mit den Sitten vertraut. Jetzt hör auf, dich zu sorgen, und sieh dich um. Wir erreichen gleich den Palast.“
Nun erst bemerkte sie, dass sie von der Schnellstraße in eine von Geschäften gesäumte Seitenstraße abgebogen waren. In einem großen Hof spielten Kinder Fußball. Als sie die Limousine erblickten, rannten sie sofort herbei und winkten. Khalil öffnete sein Fenster und winkte zurück.
Ein kleines Mädchen pflückte eine Blume und warf sie auf das langsam fahrende Gefährt. „Prinz Khalil! Prinz Khalil! Willkommen zu Hause!“
Dora fühlte sich wie in einem alten Spielfilm. „Sie sprechen ja Englisch“, bemerkte sie verwundert.
„Die meisten Leute hier. Englisch ist Pflichtfach in allen Schulen und wird bei geschäftlichen Transaktionen gesprochen. El Bahar bereitet sich auf eine wichtige Rolle in diesem Jahrhundert vor.“
„Ich verstehe.“
„Da vorn ist der Eingang zum Palast“, erklärte Khalil, als die Limousine in eine lange Allee einbog.
Sie fuhren durch ein großes Tor. Etwa ein Dutzend bewaffneter Posten in Uniform stand Wache. Innerhalb der Mauern schlängelte sich die Auffahrt zwischen üppigen Gärten hindurch. Zwischen dem dichten Laubwerk erblickte Dora Gebäude, Teiche, Tennisplätze und eine Armee von Gärtnern.
„Die Palastanlage steht der Öffentlichkeit zweimal in derWoche offen. Es gibt einen kleinen Zoo und zahlreiche Spazierwege. Für Einwohner ist der Besuch kostenlos, während Touristen eine kleine Gebühr zahlen.“
Der liebliche Duft wurde stärker. Dora sog ihn tief in sich auf. Dann stockte ihr der Atem, als sie die letzte Kurve nahmen und vor einem riesigen Gebäude anhielten.
Das Bauwerk schien sich meilenweit zu erstrecken. Es war mindestens drei Stockwerke hoch und besaß ein wundervolles Kacheldach, das in der Sonne glänzte. Balkone mit schwarzen, schmiedeeisernen Geländern bildeten einen starken Kontrast zu den strahlend weißen Mauern.
Ein gewaltiger Torbogen führte in den Palast. Ein kreisförmiger Bereich vor dem Gebäude war mit kobaltblauen Mosaiksteinen versehen, die den Ozean mit Fischen und Booten darstellten. Es war ein hervorragendes Werk, das sehr anheimelnd wirkte.
„Willkommen, Prinzessin Dora“, wünschte Roger, als er ihr aus der Limousine half. „Sind Sie bereit für den großen Empfang?“
„Ich hoffe es.“ Sie wandte sich an Khalil. „Weiß deine Familie von mir?“
„Mein Vater schon. Er war entzückt.“ Es war eine kleine, aber nötige Lüge. Auch wenn Khalil sie nicht besonders gut kannte, spürte er ihre Nervosität, die durchaus verständlich war. Schließlich lernte man nicht jeden Tag seine Schwiegerleute kennen. Noch aufregender war es, in eine königliche Familie einzuheiraten, die eine andere Wahl getroffen hätte.
Er dachte zurück an das Telefonat mit seinem Vater am Vortag. König Givon Khan hatte vor Zorn gebrüllt und sich geweigert, irgendwelche Argumente anzuhören. Es war sehr zu bezweifeln, dass er sich inzwischen beruhigt hatte.
Die gesamte Familie hatte sich zur Begrüßung versammelt. Khalils Brüder Malik und Jamal lehnten an den großen Säulenvor der Doppeltür, die in den Palast führte. Seine Großmutter wartete am Fuße der Stufen. Ihr schlanker, beinahe zerbrechlicher Körper verlieh ihr den Eindruck von Schwäche, aber Fatima
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