Märchen unter dem Wüsenhimmel
Khan konnte sie alle immer noch überlisten.
Sein Vater Givon Khan war beinahe sechzig, aber er sah so stark und ungebeugt wie ein zwanzig Jahre jüngerer Mann aus. Trotz seiner Vorliebe für moderne, westliche Kleidung war er oftmals ein altmodischer König. Er regierte El Bahar mit Weisheit und Geduld – einer Geduld, die er seinen Söhnen gegenüber selten bewies. Enttäuschung und Zorn spiegelten sich in seinen Augen, die von Unheil kündeten.
Niemand sprach. Fatima starrte den König finster an, was bedeutete, dass es bereits zu einem Streit zwischen ihnen gekommen war.
Khalil und Dora blieben vor der Gruppe stehen. Er legte ihr eine Hand auf die zitternde Schulter und drückte sie ermutigend. „Vater, ich möchte dir Prinzessin Dora Khan vorstellen. Dora, das ist mein Vater, König Givon von El Bahar.“
Sie überraschte ihn, indem sie vortrat und einen sehr anmutigen Hofknicks vollführte. „Eure Majestät, vielen Dank, dass Sie mich in Ihrem wundervollen Land willkommen heißen.“
Givon starrte sie an, nickte flüchtig und wandte sich an seinen Sohn. „Khalil, ich war in der Vergangenheit oft zornig auf dich, ich war enttäuscht, aber zum ersten Male wünschte ich nun, du wärest nicht mein Sohn.“
Dora drehte sich um und blickte Khalil erschrocken und verletzt an. Er hätte sie gern beruhigt, aber es war nicht der geeignete Augenblick. Er hätte die Situation gern geklärt und seinem Vater die Wahrheit über Amber erzählt, aber auch das musste warten.
Beschützend zog er Dora an sich. „Du kannst zu mir sagen, was du willst, Vater, aber du wirst meine Frau mit dem Respekt behandeln, den sie verdient. Ich möchte darum bitten, dass dusie als deine neue Tochter willkommen heißt.“
Junge Augen starrten in alte. Die Atmosphäre knisterte vor Spannung. Nie zuvor hatte Khalil einen derartigen Willenskampf gewonnen, aber ihm war auch nie zuvor etwas so wichtig gewesen. Er wartete. Dora erzitterte.
Der König trat drei Schritte vor, bis er vor ihr stand. Dann legte er ihr die Hände auf die Schultern, beugte sich zu ihr und küsste sie auf beide Wangen. „Willkommen, Tochter, im Haus deiner neuen Familie. Mögest du gesegnet sein mit einem langen Leben, zahlreichen Söhnen und Frieden im Alter.“
Dora lächelte. „Nicht mit Liebe?“
Der König wirkte so erstaunt, wie Khalil sich fühlte. Er hatte nicht erwartet, dass sie den Mund öffnete. „Ich fürchte, dein Ehemann wird nicht lange genug bei dir sein, als dass die Liebe fortdauern könnte.“
„Wenn Sie so zornig sind, dass Sie ihn töten werden, kann ich nicht viel Hoffnung auf die Söhne hegen, die Sie mir versprochen haben.“
Die Mundwinkel des Königs hoben sich. „Vielleicht verabreiche ich ihm nur eine Tracht Prügel.“
Sie beugte sich zu ihm und flüsterte in vertraulichem Ton: „Ich weiß genau, wie Sie sich fühlen.“
Givon lachte laut auf und zog Dora in die Arme. „Ich beginne zu ahnen, warum mein Sohn der Tradition den Rücken gekehrt und dich geheiratet hat. Also gut, ich werde meinen Zorn vorläufig vergessen. Komm, Prinzessin Dora, und sieh dir dein neues Zuhause an.“
7. KAPITEL
E ine junge dunkelhaarige Zofe führte Dora über einen langen Korridor in eine überwältigende Suite. Der Salon war riesig und sehr hoch. Gobelins mit orientalischen Mustern zierten die Wände. Möbel im westlichen Stil bemühten sich, den Raum zu füllen, doch es blieb genug Platz für eine Ballettvorführung. Das Atemberaubendste war jedoch die Fensterwand, die auf einen Balkon führte und über das Arabische Meer blickte.
Dora öffnete die Schiebetür und trat hinaus. Meeresluft umgab sie. Der liebliche Duft wirkte entspannend. Kleine Tische und Stühle standen auf dem langen Balkon, der zu allen Räumen auf dieser Etage gehörte.
Sie fühlte sich von dem Gefühl überwältigt, eine sehr fremdartige Welt betreten zu haben. Obwohl sie einen guten Eindruck auf den König gemacht zu haben schien, hatte er sie schnell wieder loswerden wollen – vermutlich, um seinen ungehorsamen Sohn ins Gebet nehmen zu können. Höchstwahrscheinlich hatte die Familie andere Pläne für Khalil gehegt.
„O Khalil, was hast du getan?“, murmelte sie vor sich hin und schlug die Hände vor das Gesicht. Warum hatte sie die Situation nicht durchdacht? Er war kein gewöhnlicher Mann, der sich seine Braut aussuchen konnte. Eheschließungen von Königskindern erforderten sicherlich die Zustimmung der Regierung. Oder war das nur in England so? Sie
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