Märchen unter dem Wüsenhimmel
zuckte es um Jamals Mundwinkel. Seltsam, dachte er, aber auf verrückte Art auch reizvoll. „Ich werde mein Bestes tun, dir keinen Antrag zu machen“, versprach er.
„Danke. Ich bin überzeugt, dass du ein wundervoller Ehemann wärst, aber ich könnte nicht weniger interessiert sein. Das richtet sich nicht gegen dich persönlich. Ich will niemanden heiraten. Ich bin sehr unabhängig.“
Welche Überraschung, dachte er belustigt. Er zog einenStuhl für sie hervor, ließ sie Platz nehmen und setzte sich neben sie.
„Warum sitzt du hier?“, fragte sie alarmiert. „Komm mir nicht so nahe. Das bringt sie nur auf Ideen.“
„Nach deiner Aussage haben sie bereits Ideen.“
„Sie brauchen nicht noch darin bestärkt zu werden. Du solltest so weit wie möglich entfernt von mir sitzen. Ignorier mich einfach. Sei sogar unhöflich. Es stört mich nicht.“
Jamal konnte sich nicht erinnern, dass eine Frau jemals so deutlich ihren Mangel an Interesse kundgetan hatte. Seltsamerweise fand er ihre Offenheit reizvoll. Das Leben hatte ihn gelehrt, zynisch zu sein, was Frauen betraf. Alle, die er bislang kennengelernt hatte, waren an seinem Geld, seinem Titel, seinem Ruhm interessiert. Eine Jungfrau, die ihn auf Distanz halten wollte, war eine erfrischende Abwechslung.
„Setz dich dorthin“, verlangte sie und deutete zum anderen Ende des Tisches.
Der Esstisch aus Teakholz bot Platz für zwanzig Leute, doch an diesem Abend war er nur für sechs gedeckt. Zu ihrem Pech befand sich das am weitesten entfernte Gedeck immer noch so nahe, dass man sich mühelos unterhalten konnte.
Unwillkürlich fragte Jamal sich, wer diese Heather McKinley war. Er erinnerte sich an ein dünnes kleines Mädchen. Aber diese Erinnerung lag sehr lange zurück. Angeblich war sie auch kürzlich zu Besuch gekommen. War er so sehr mit seinem eigenen Leben beschäftigt gewesen, dass er es nicht bemerkt hatte? Welche Umstände hatten sie in diese einzigartige Kombination aus Unschuld und Frechheit verwandelt?
„Du siehst mich an“, sagte sie vorwurfsvoll. „Tu das nicht. Ignorier mich.“
Gehorsam wandte er den Blick ab, der jedoch automatisch wieder zu ihrem blassen Gesicht zurückkehrte. Warum fürchtete sie sich so sehr vor der Ehe? Und warum geriet er nicht inPanik? Seine Frau war seit fast sechs Jahren tot. Es war nur eine Frage der Zeit, bis von ihm erwartet wurde, wieder zu heiraten. Da eine Ewigkeit nicht gereicht hätte, um über Yasmin hinwegzukommen, stand eine Liebesheirat außer Frage. Er hoffte nur, eine Frau zu finden, die er tolerieren und mit der er vielleicht sogar Freundschaft schließen konnte.
Vielleicht war Heather keine schlechte Wahl. Malik irrte sich. Sie war keine Schreckschraube, sondern eigentlich ganz niedlich.
Schritte ertönten auf dem Korridor. Sie schob die Brille hoch und beugte sich zu ihm. „Vergiss nicht, mich zu ignorieren. Sei unhöflich. Ich will es wirklich so.“
Als die Dienerschaft den Tisch abräumte, beugte Fatima, Jamals Großmutter, sich zu Heather und tätschelte ihr die Hand. „Da du jetzt hier leben wirst, können wir einen Trip nach London planen und ins Theater gehen.“
„Das wäre schön“, erwiderte Heather und lächelte sie an.
An diesem Abend trug Fatima ein elegantes Kostüm. Die maßgeschneiderte Jacke betonte ihre schlanke, königliche Gestalt, während die kunstvolle Hochfrisur sie einige Zentimeter größer wirken ließ. Ihr Make-up war diskret und perfekt. Kostbare Perlen schimmerten in ihren Ohrläppchen und um ihren Hals. Sie war all das, was Heather zu sein wünschte – schön, selbstbewusst und beherrscht.
„Jamal interessiert sich sehr für Künste“, verkündete Givon lautstark. „Theater, Tanz, Musik. Er genießt all das.“
Die Bemerkung des Königs war nur eine von unzähligen, äußerst unsubtilen vorangegangenen Versuchen, Gemeinsamkeiten zwischen Jamal und Heather aufzuzeigen.
Khalil, Jamals jüngerer Bruder, blickte grinsend auf. „Das stimmt. Jamal lebt für die Künste. Er ist so angetan davon, dass wir ihn manchmal sogar Kunst nennen. Als Spitzname.“
„Ignoriere die beiden“, riet Dora. „Khalil hat einen merkwürdigen Sinn für Humor, der augenblicklich auf deine Kosten geht. Ich werde ihn nachher ins Gebet nehmen und dafür sorgen, dass es sich nicht wiederholt.“
Khalil, der links neben Heather saß, wirkte nicht im Geringsten besorgt. „Willst du mir drohen, Weib?“
Dora, eine hübsche Brünette mit warmen, freundlichen Augen, lächelte.
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