Märchen von den Grimms und mir (German Edition)
einmal den Tod überlisten könnte," dachte der Arzt, "er wird's freilich übelnehmen, aber da ich sein Pate bin, drückt er sicher ein Auge zu, ich will es wagen." Er fasste also den Kranken und legte ihn verkehrt, so daß der Tod zu Haupten desselben zu stehen kam. Dann gab er ihm von dem Kraut ein. Der König erholte sich und ward wieder gesund. Der Tod aber kam zum Arzte, machte ein böses und finsteres Gesicht, drohte mit dem Finger und sagte: "Du hast mich hinter das Licht geführt, diesmal will ich es dir nachsehen, weil du mein Pate bist, aber wagst du das noch einmal, so geht es dir an den Kragen, und ich nehme dich mit fort."
Einige Zeit später erkrankte die Tochter des Königs schwer. Sie war sein einziges Kind, er weinte Tag und Nacht und ließ bekanntmachen, wer sie vom Tode errette, dürfe ihr Gemahl werden und die Krone erben. Der Arzt, als er zu dem Bette der Kranken kam, erblickte den Tod zu ihren Füßen. Er verdrängte die Warnung seines Paten und die große Schönheit der Königstochter und das Glück, ihr Gemahl zu werden, betörten ihn so, daß er alle Gedanken in den Wind schlug. Er sah nicht, daß der Tod ihm zornige Blicke zuwarf, die Hand in die Höhe hob und mit der dürren Faust drohte; er hob die Kranke auf und legte ihr Haupt dahin, wo die Füße gelegen hatten. Dann gab er ihr das Kraut ein, und alsbald regte sich das Leben von neuem.
Der Tod, als er sich zum zweitenmal um sein Eigentum betrogen sah, ging mit langen Schritten auf den Arzt zu und sprach: "Es ist aus mit dir, und die Reihe kommt nun an dich," packte ihn mit seiner eiskalten Hand so hart, daß er nicht widerstehen konnte, und führte ihn in eine unterirdische Höhle. Da sah er, wie tausend und tausend Lichter in unübersehbaren Reihen brannten, einige groß, andere halbgroß, andere klein. Jeden Augenblick verloschen einige, und andere brannten wieder auf, also daß die Flämmchen in beständigem Wechsel zu sein schienen. "Siehst du", sprach der Tod, "das sind die Lebenslichter der Menschen. Die Großen gehören Kindern, die Halbgroßen Eheleuten in ihren besten Jahren, die Kleinen gehören Greisen. Doch auch Kinder und junge Leute haben oft nur ein kleines Lichtchen."
"Zeige mir mein Lebenslicht", sagte der Arzt und meinte, es wäre noch recht groß. Der Tod deutete auf ein kleines Endchen, das eben auszugehen drohte, und sagte: "Siehst du, da ist es."
"Ach, lieber Pate", sagte der erschrockene Arzt, "zündet mir ein neues an, tut es mir zuliebe, damit ich König werde und Gemahl der schönen Königstochter."
"Ich kann nicht," antwortete der Tod, "erst muß eins verlöschen, eh' ein neues anbrennt."
"So setzt das alte auf ein neues, das gleich fortbrennt, wenn jenes zu Ende ist", bat der Arzt. Der Tod stellte sich, als ob er seinen Wunsch erfüllen wollte, langte ein frisches, großes Licht herbei und zündete es an, aber weil er sich rächen wollte, stieß er absichtlich gegen den Docht. Der dünne Faden fiel um und das Licht verlosch. Alsbald sank der Arzt zu Boden und war nun selbst in die Hand des Todes geraten. Nimmer stand er wieder auf.
Und die Moral von der Geschicht',
Gevatter Tod betrügt man nicht,
sonst nimmt er dir dein Lebenslicht!
Φ
Der Fuchs und die Katze
Es war einmal, vor langer Zeit, da lief eine Katze hungrig in den Wald hinein. Auf der Suche nach einem Mäuschen begegnete sie dem Herrn Fuchs. Und weil sie ein höfliches Gemüt besaß und dachte, er ist gescheit und wohl erfahren, sprach sie ihn freundlich an: "Guten Tag, lieber Herr Fuchs, wie geht's, wie steht's? Wie schlagt Ihr Euch durch in dieser teuren Zeit?"
Der Fuchs, voller Hochmut, betrachtete die Katze vom Kopf bis zu den Krallen und überlegte, ob er sich herablassen sollte, eine Antwort zu geben. Endlich sprach er: "Oh, du armseliger Bartputzer, du buntscheckiger Narr, Hungerleider und Mäusejäger, was kommt dir in den Sinn? Du unterstehst dich, zu fragen, wie es mir gehe? Was hast du gelernt? Welche Künste verstehst du?"
"Ich verstehe nur eine Einzige", antwortete bescheiden die Katze.
"Was ist das für eine Kunst?", fragte der Fuchs.
"Wenn die Hunde hinter mir her sind, so kann ich auf einen Baum springen und mich retten."
"Ist das alles?", fragte der Fuchs überheblich und strich sich über sein glänzendes Fell. "Ich bin Herr über hundert Künste und habe überdies noch einen Sack voller List. Du jammerst mich, komm mit mir, ich will dich lehren, wie man den Hunden entgeht." Sein Ton war immer herablassender geworden.
In
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