Märchen von den Hügeln
Schritts zwischen den Stämmen einherging. Leontine rief sie an, aber sei es, daß die Entfernung zu groß war, sei es, daß die Alte nicht mehr gut hörte, jedenfalls kam keine Antwort von ihr. Das Mädchen beschloß, ihr zu folgen. Sie munterte den Braunen auf, und willig setzte sich das Tier unter ihr in Bewegung. Die eingeschlagene Richtung schien die rechte zu sein, denn das Baumdickicht öffnete sich bei ihrer Annäherung und ließ sie passieren. Vor ihr, in immer gleichem Abstand, ging die graue Gestalt dahin, und wo sie geschritten war, schien gleichsam eine Schneise zu entstehen, der nachzugehen leicht war.
Endlich, nach einer Zeit, die Leontine lang vorkam, verlor der Wald seine Düsternis. Die ersten Lärchen tauchten auf, vereinzelt schon das helle Gold einer Birke, ihr weißer Stamm im ernsten Grün.
Sie wunderte sich, wie sie sich so weit hatte verlaufen können, und wendete den Kopf: Die Bergwand, der düstere Tann, die aufgehäuften Steine waren hinter einem Hügel, den sie unmerklich überstiegen haben mußte, verschwunden. Endlich machte die Pilzfrau halt an einer der Bauten oder Erdlöcher, die nun spärlicher im Gras auftauchten. Das Mädchen beeilte sich, zu ihr zu gelangen, da sie sich gerade bückte, um noch einen Fund in ihren Korb zu tun.
»Ich danke Ihnen«, sagte sie zu der Hingekauerten, die, vielleicht weil sie kurzsichtig war, das Gesicht tief bis zum Boden geneigt hatte. In ihrem Gefäß lagen, obgleich sie so eifrig gesucht hatte, nicht mehr als drei oder vier zartviolette Schwämme mit grünen Lamellen, die dem Mädchen merkwürdig bekannt vorkamen. »Ohne Sie hätte ich mich hoffnungslos verirrt. Darf ich Ihnen meine Pilze zu den Ihren dazugeben? Wie ich sehe, haben Sie kein großes Glück gehabt.«
Sie wollte ihr geknüpftes Bündel lösen, um ihr Sammelgut in den Korb der Frau zu schütten, aber die bewegte verneinend den Kopf und hob dann das Gesicht. Mit einem Schrei ließ Leontine ihr Bündel fallen. Unter dem grauen Kopftuch sahen ihr die dunklen Augen der Mutter im schmalen, elfenbeinbleichen Gesicht entgegen.
Im gleichen Augenblick ertönte hinter ihr ein heller Ruf. Sie fuhr herum. Zwischen den Stämmen schoß das weiße Pferd Klingers hervor inmitten eines Irrlichtergefunkels von Gold und Silber. Auf dem Stirnriemen des Schimmels, der dank einer kindischen Laune des Sängers reich geschmückt war, brach sich die untergehende Sonne. Wie eine Wolke lauteren Lichts kamen Roß und Reiter daher, und von weitem rief der Mann einige Worte, die Leontine nicht verstand. Sie hörten sich an wie »Elen sila lumenn’ omentielvo«. 1
Das Mädchen drehte sich zurück, um zu sagen: Sieh, Mutter, das ist er, aber da war niemand. Nur ihre Pilze lagen mit der Jacke, deren Ärmelknoten sich gelöst hatten, neben einem alten, halb zugewachsenen Fuchsbau.
Der Sänger war inzwischen heran, er ließ sein Pferd piaffieren und umkreiste sie. »Oh, Pilze!« rief er. »Schenkst du mir die?«
»Ich hatte sie schon vergeben«, murmelte Leontine. »Aber was sagtest du eben?«
»Daß ich mich freue, dich wiederzufinden. War’s nicht deutlich? Oder habe ich aus Versehen italienisch gesungen?«
»Das war kein Italienisch.«
Er achtete nicht auf ihre Worte, schien ihr bleiches Gesicht nicht zu sehen, ganz hingegeben der spielerischen Lust des Rittes. »Komm mir nach! Hol mich ein!« rief er, ließ den Schimmel steigen und stob davon, sein Haar flutete schimmernd im Wind.
»Nein, ich bin nicht seinesgleichen«, flüsterte das Mädchen. Sie bestieg den Braunen und folgte in langsamer Gangart. Die Pilze blieben liegen.
Die letzte Strophe
Beim Frühstück mit ihrem Vater war Leontine still und einsilbig. Die Exzellenz liebte es, angetan mit einem rotgeflammten Schlafrock, seine Tochter zu bedienen, ihr Kaffee einzugießen, von einer Maschine zubereitet, den Toast für sie goldgelb aus dem Röster zu heben und ihr bei Tisch das Ei zu kochen in Sekundenschnelle, ohne Wasser und Topf mittels eines kleinen tickenden Apparats.
»Du ißt schlecht, Mädchen«, schnarrte er mißbilligend und nötigte sie, eine zweite Brotscheibe zu nehmen. »Junge Frauenzimmer müssen essen, damit sie wachsen.«
»Ich darf aber nicht in die falsche Richtung wachsen«, scherzte sie müde.
Darenna schüttelte den Kopf. »Unfug«, sagte er eitel, »meine Tochter doch nicht. Dich bedrückt dies und das, ich weiß. Wenn du dir die falschen Leute zu Freunden gewählt hast, kann dir keiner helfen als nur du
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