Märchen von den Hügeln
Klinger lächelte. »Der Abend war so schön, und mich verlangte es, ans Ufer zu gehen.« Er strich einem Eichhörnchen, das ohne Scheu herangehüpft war, über den Rücken.
»Närrischer Elb!« entgegnete Lindo, streckte sich wieder aus und fuhr fort, sein Lied zu singen: »Ich kann nicht g’nug erzählen ihr Schön und Tugend viel. . .«
Klinger stimmte ein. So sangen sie viele Stunden, erfanden neue Melodien, die sie zu den alten fügten. Als sie müde wurden, lauschten sie den Vögeln, die ihre Lieder aufgenommen hatten und weitertrugen.
Der Halbelb betrachtete lange die rote Sonnenscheibe, die noch immer über den Dächern funkelte. Dann wandte er den Kopf zu Klinger und sagte: »Ich glaube, wir müssen einmal miteinander reden, Herr Elb!«
Vor Adalberts Tür türmte sich ein Abfallhaufen auf, den Lindo überklettern mußte, um hineinzugelangen. In der Wohnung war der Zwerg nicht zu finden. Mit einer bösen Vorahnung im Herzen eilte Lindo hinab zum Uhrwerk. Dort fand er Adalbert inmitten abgerissener Triebe und zerstörten Isolationsmaterials, schweißüberströmt und schwer atmend. Müde deutete er auf die Wände. Überall hingen Fetzen herab, lösten sich die von der Kraft des wachsenden Gesträuchs zerstörten Platten.
Der Halbelb zog schuldbewußt den Kopf zwischen die Schultern und wagte nicht, Adalbert in die Augen zu schauen.
»Du mußt zu Klinger gehen«, flüsterte der Zwerg.
»Ich habe schon mit ihm gesprochen.«
»So?« In Adalberts Stimme schwang wenig Hoffnung.
Lindo blickte noch immer zu Boden. »Er sagt, seinetwegen müsse die Sonne nie untergehen. Er liebe sie, sie könne ihm gar nicht lange genug scheinen.«
»So, sagt er das?« Adalberts Augen funkelten böse. »Der Herr Elb meint demnach, die ganze Ordnung durcheinanderbringen zu können; alle mögen den Kopf verlieren, weil er ihn auch verloren hat.«
Lindo zuckte bedrückt und hilflos die Achseln.
Adalbert richtete sich plötzlich auf und gewann einiges an Größe. Fast reichte er dem Halbelben bis zur Schulter. Lindo mußte den Zwerg ansehen, verwundert, wie sich dessen Wesen gewandelt hatte, er war nicht mehr gebeugt, vielmehr ging eine trotzige Erhabenheit von ihm aus. »So werde ich selbst mit dem Elben reden.«
»Warte noch!« rief Lindo. »Er wird dich nicht anhören, wenn du ihn nicht dazu zwingst.«
»Was soll ich tun?«
»Warte bis in die frühen Morgenstunden, wenn es noch ganz dunkel und der Mond schon untergegangen ist, dann werde ich kommen, damit wir uns gemeinsam auf den Weg machen.«
Zur festgesetzten Zeit erschien Lindo. Er schleifte einen Leinensack hinter sich her, der recht schwer zu sein schien.
»Was hast du darin?« fragte Adalbert.
»Sand.«
»Und was willst du damit tun?«
»Ich will ihn ins Getriebe schütten.«
Der Zwerg schrie auf und klammerte sich an Lindos Arm, um ihn festzuhalten. Der aber zog unbeirrbar hinab zum Uhrwerk. Die Kraft Adalberts reichte nicht aus, ihn abzuhalten.
»Du willst die Uhr zerstören, Verräter!« zeterte er, nun wieder klein und grau. »Du hast dich mit Klinger verbündet, du Elb, du Schuft!« Er weinte.
Lindo hielt inne. »Im Gegenteil«, erwiderte er. »Auf deiner Seite bin ich. Das bißchen Sand wird deiner Uhr nicht schaden; nach einer Weile hat sie sich freigearbeitet.«
»Lügner, Betrüger!« schluchzte Adalbert.
»Was sollte denn Klinger für Nutzen daraus ziehen, wenn ich die Uhr zu dieser Stunde anhalte?« fragte Lindo. »Wenn es zur Zeit des Tagesanbruchs noch immer dunkel ist, wird er sich nach der Sonne sehnen. Das ist unsere Chance, ihn zu bewegen. Was weiß denn er? Wir werden ihm sagen, daß seine Bäume schuld sind. So wird er auf uns hören, denn er ist ein Kind des Lichts.«
Damit zerrte Lindo den Sack durch die Tapetentür und schüttete den Inhalt zwischen die beiden größten Zahnräder.
Ein gewaltiges Knirschen hob an. Es war, als wollten sich die Wellen biegen und splittern; die mächtigen Speichen strebten nach außen, als müßten sie im nächsten Augenblick herausspringen. Dann gab es einen Ruck, ein Zittern lief durch den Fels. Das Uhrwerk stand.
Der Zwerg sank ohnmächtig in Lindos Arme.
Unter den Baumwipfeln, wohin ihn der Halbelb getragen hatte, kam Adalbert wieder zu sich. Ein linder Wind fächelte ihm Kühlung. Doch er war des Rauschens der Zweige und der Frische der Luft entwöhnt. Seine Heimat war unter der Erde. Er schluchzte auf und kroch seiner Tür zu.
»Bleib, Adalbert!« vernahm er Lindos Stimme. »Wir müssen bald
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