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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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aufbrechen. Die Morgenstunde naht.«
    Wimmernd kam der Zwerg zurück.
    »Betrachte nur den Sternenhimmel«, rief der Halbelb aus, »ist er nicht schön!«
    Adalbert blickte empor und reckte sich ein wenig auf. Doch als eine Böe durch die Blätter ging, zuckte er erschreckt und fiel in sich zusammen.
    »Einst«, flüsterte er, »habe ich jedes Sternbild gekannt, bevor wir Zwerge unter dem Berg gruben, damals, als die Welt noch jung war. Aber jetzt habe ich viel vergessen. Es ist so lange her. Tardak Aridon war mein Name.«
    Lindo sah ihn verwundert an.
    Der Zwerg lächelte und wies nach den Sternen. »Die Waage, erkennst du sie?«
    »Ich kenne sie alle«, erwiderte Lindo.
    »Natürlich, Elbenkind!« Wieder erschreckte ein Windstoß den Zwerg. »Ich bin es nur noch nicht gewohnt«, sagte er. Es klang fast wie eine Entschuldigung. Adalbert stand auf. »Wenn es an der Zeit ist, so machen wir uns auf den Weg.« Er schien jetzt größer, so, als sei eine schwere Last von seinen Schultern genommen.
    Lindo erhob sich langsam, ohne die erstaunten Augen von Adalbert zu wenden.
    »Es wird nicht das letzte Mal sein, daß du dich heute verwunderst, nehme ich an«, sagte der Zwerg. »Gehen wir, es ist schon sehr kühl.«
    Lindo mußte geraume Zeit läuten, ehe Klinger unwillig öffnete.
    »Ist das jetzt Sitte, die Leute zu mitternächtlicher Stunde aus den Betten zu klingeln?«
    »So verschlafen sehen Sie nicht aus«, erwiderte Adalbert barsch und schob sich nach vorn. »Zudem ist Mitternacht lang vorüber.«
    Klinger musterte den Zwerg aufmerksam und bemerkte dann spöttisch: »Freundlicher hat Sie das Alter nicht gemacht, Verehrtester. Wir sahen uns wohl länger nicht. . .«
    »Das ist wahr«, gab Adalbert, sichtlich verstimmt ob des kühlen Empfanges, zurück. »Zumal ihr Elben, wie ich merke, die Nasen immer noch so hoch tragt, daß ihr uns schwerlich am Boden zu entdecken vermögt.«
    Ob dieser Bemerkung war der Sänger drauf und dran, ihnen die Tür vor der Nase zuzuschlagen, doch Lindo setzte den Fuß in den Spalt. »Bitte hören Sie ihn an!«
    »Habe ich das nötig?« Lindo traf ein kühler, abweisender Blick, der ihn zurückweichen ließ.
    »Vielleicht haben Sie es nötig«, knarrte Adalbert, »denn wenn ich seit Jahrhunderten das erste Mal wieder den Weg unter den Sternen antrete, so wird es, wie Sie mir glauben sollten, angemessene Gründe dafür geben.«
    »Torheit des Alters!« Klinger zitierte unbewußt einen geläufigen Operntext.
    Der Zwerg versuchte das Wort zu überhören und fragte: »Haben Sie eine Uhr?«
    »Ja, aber zu dieser Zeit pflege ich sie nicht zu benutzen«, entgegnete der Elb schnippisch.
    »Und wenn Sie doch einmal daraufsähen?« bemerkte Lindo zaghaft, »oder auf meine.« Er hielt ihm seine Armbanduhr hin. Sie zeigte halb sieben.
    Der Sänger warf einen Blick darauf und stutzte. »Täuschen Sie sich nicht? Nach meinem Empfinden, der Dunkelheit und der Kühle ist es vier Uhr noch nicht vorbei.«
    »An Ihrer Stelle würde ich mir Gewißheit verschaffen«, gab Adalbert zurück.
    Klinger griff zum Telefon neben sich und wählte eine Nummer. »Sechs Uhr einunddreißig«, tönte eine unangenehme Frauenstimme aus dem Hörer. Der Sänger legte auf und fragte mit einem Blick zum pechschwarzen Himmel: »Bleibt das so?«
    »Das liegt unter anderem bei Ihnen.« Adalbert zuckte die Achseln. »Aber wie ich höre, lehnen Sie es ab, mit dem Hüter der Großen Uhr zu reden.« Damit drehte er sich auf dem Absatz um und machte Anstalten zu gehen.
    Doch Lindo zog ihn zurück. Klinger hatte ihnen schweigend die Tür freigegeben.
    Beim Setzen tastete Adalbert den Grasteppich ab, als sei es ein fremdes Wesen, und ließ sich nur sehr vorsichtig darauf nieder. Klinger registrierte das mit einem Lächeln.
    »Ich war sehr lange fort«, sagte der Zwerg. »Doch zum Thema. Lindo hat Sie bereits unterrichtet?«
    Der Sänger zog die Stirn kraus, als müsse er sich an eine Nichtigkeit erinnern. »Ach ja, die Bäume«, sagte er schließlich.
    »Die Uhr steht!« Adalbert holte tief Luft. »Sie haben es geschafft!«
    »Was?« fragte Klinger abwesend.
    »Daß es ewig finster bleibt«, fuhr der Zwerg in drohendem Ton fort. Er trat auf Klinger zu. Der erhob sich ebenfalls.
    »Tar-Ciryatan«, zischte der Zwerg, und er redete den Elben mit dem Namen an, den ihm einstmals die Erstgeborenen gegeben hatten, »es ist mir zu ernst, als daß ich mich von dir narren ließe. Wohin schweifen deine Gedanken? Komm zurück, ich rede mit dir!«
    Der

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