Märchen
Erden.«
Junker Nils fällt dem König weinend zu Füßen. Er liebt ihn mehr als einen Bruder, und das Herz will ihm fast brechen, als er den gesalbten und gekrönten Herrscher des Reiches in Elend und Schande sieht. Zwei lange Jahre hat König Magnus in diesem schaurigen Kerker geschmachtet, kein Wunder, daß seine Wangen bleich sind und sein Blick traurig ist. Junker Nils küßt ihm unter Tränen die Hand, doch König Magnus zieht seinen Knappen an die Brust.
»Genug jetzt, Junker Nils, alles ist aus, meine Zeit ist um.
Wirst du bei mir bleiben in meiner letzten Stunde?«
Da packt Junker Nils seinen Herrn untertänig beim Arm.
»Ach, mein König, sagt nicht so Arges! Kommt schnell, laßt uns fliehen!«
Aber König Magnus schüttelt nur traurig den Kopf.
»Wohin sollten wir fliehen, Junker Nils? Wie sollten wir denn hinausgelangen, wo doch das Tor verschlossen und die Zugbrücke hochgezogen ist und wo die Mannen des Herzogs im Schloß herumschwirren wie Bienen in einem Korb? Nein, hier kommt keine Seele lebendig hinaus. Alles ist aus, meine Zeit ist um.«
So weiß König Magnus also nichts von dem geheimen Gang, doch den kennt, gottlob, Junker Nils. Denn hat er als Kind nicht in diesem düsteren, unheimlichen Schloß gespielt? War seine Mutter nicht eine Zeitlang Hofdame bei der hartherzigen Frau Ebba, der Mutter des Herzogs und der Tante des Königs? Sie war eine hohe und strenge Herrscherin, die Schloß Wildgiebel mit eiserner Hand regierte, während ihr Sohn, dieser Übeltäter, auf Kriegszug in fremden Ländern war. Zu jener Zeit war Junker Nils noch ein kleiner, ungebärdiger Knabe, und eines Tages wurde er von der grausamen Frau Ebba zur Strafe in den Ostturm gesperrt, doch das sollte sie bereuen. Denn Junker Nils hatte als Kind sehr neugierige Finger, solche Knabenfinger, die alles betasten und an allem herumdrehen müssen. Und schwups!
hatte er auch schon den geheimen Knopf gefunden, der die geheime Tür zu dem geheimen Gang öffnete, der vom Ostturm unter dem Sund hindurch zu einem geheimen Platz im Walde führte.
Du siehst, König Magnus. noch ist nicht alles verloren. Doch beeil dich um des Himmels willen! Die Nacht ist zu Ende, und wenn die Sonne über der grünen Erde aufgeht, dann soll es dich nicht mehr geben, so haben es der Herzog und der Rat beschlossen. Sieh nur, schon versammeln sich dort unten auf dem Hof beleibte Herren in prunkenden Gewändern, der Scharfrichter steht mit dem geschliffenen Schwert bereit, er wartet auf dich. Und jede Minute kann ein ehrwürdiger Pater den Gefangenen im Turm aufsuchen, um die letzten Worte des Armen und sein Bekenntnis entgegenzunehmen. Denk doch nur, wenn er dann Mons Yxa findet und einen Schrei ausstößt, der im ganzen Schloß widerhallt, dann ist es zu spät für die Flucht. Deine Zeit ist kurz, König Magnus, jetzt mußt du dich beeilen, wenn du dein Leben retten willst. O ja, es ist ein unheimlicher und gefahrvoller Weg, der sich quer durch das Schloß zum Ostturm hindurchwindet und -schlängelt, und es wimmelt von Wächtern.
Aber verzweifle nicht, Junker Nils weiß Rat.
»Schnell, schnell, König Magnus! Zieht Euren roten Samtrock aus und hüllt Euch gnädigst in meine Lumpen. Sollte es das Unglück wollen, und wir treffen auf unserer Flucht durch das Schloß auf einen Wachposten, dann hält er mich für den König und Euch für den Spielmann. Dann ergreift er mich, und bevor ihm dies klar ist, könnt Ihr fliehen! Dann hat er einen Spatzen gefangen, während der Adler seiner königlichen Freiheit entgegen-fliegt.«
Aber der König schüttelt nur traurig den Kopf.
»Junker Nils, mein Herzlieber, was würde dann dein Schicksal sein? Was, glaubst du, tut der Herzog dem an, der seinem Vetter zur Flucht verholfen hat? «
Da sieht Junker Nils seinen Herrn so innig an.
»Euch allein gehört mein Leben, und ich gebe es mit Freuden für meinen König hin, so wahr mir Gott helfe!«
Fort jetzt mit allen Zweifeln! Schnell, schnell die Kleider getauscht, schnell, schnell die Treppe hinunter, wo Mons Yxa liegt und im Schlaf stöhnt. Er zuckt schwach mit Armen und Beinen, als werde er bald erwachen. Nein, schlaf du nur, Mons Yxa, einen besseren Schlaf hast du nie geschlafen! Du simpler Gefangenenwärter, du weißt ja nicht, welche Gnade dir jetzt widerfährt. Du weißt nicht, wer mit seinem königlichen Fuß über deinen biergefüllten Bauch steigt! Es ist der König des Reiches, der um sein Leben flieht.
Jetzt erschallen aus dem Burghof Pfeifen und
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