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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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zusammennehmen, um ihm die Stöpsel nicht einfach wegzunehmen.
    »Wohin …« Sie war außer Atem, verdammt. »Wohin willst du?«
    Abel sah sie an. »Das ist meine Sache.«
    »Ja, natürlich«, sagte Anna ärgerlich, »alles auf der Welt ist deineSache. Aber du schreibst in einer Viertelstunde eine Klausur.« Sie kniff die Augen zusammen. »Läufst du weg? Läufst du vor der Klausur weg?«
    »Unsinn«, sagte Abel, steckte die Stöpsel in die Ohren und legte die Hände an den Lenker.
    »Wenn du nicht mitschreibst, sind das null Punkte«, sagte Anna.
    »Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass es etwas Wichtigeres im Leben gibt als Punkte?«
    »Ja«, sagte Anna, »Streifen. Abel …«
    Er grinste, obwohl sie sah, dass er nicht grinsen wollte. »Streifen. Hm.«
    »Was ist los?«
    Er nahm die Hände vom Lenker. »Ich laufe nicht vor der Klausur weg. Ich komme wieder. Ich komme zu spät, aber ich komme wieder. Ich schreibe die halbe Klausur mit.«
    »Was ist los?«
    »Micha«, sagte Abel. »Sie hat ihren Schlüssel vergessen. Ich habe es gerade erst gemerkt. Sie hat ihren Haustürschlüssel in meinen Rucksack gelegt oder jedenfalls ist er irgendwie dort hineingekommen. Sie geht von der Schule allein nach Hause. Ich will nicht, dass sie dann ewig vor der Tür steht. Sie haben ihren Vater in der Gegend gesehen und ich will nicht … verstehst du? Und jetzt vergiss die ganze Sache wieder. Sag deiner Gitta, ich bin krank.«
    Anna streckte die Hand aus. » Meiner Gitta sage ich überhaupt nichts. Gib mir den Schlüssel.«
    »Was?«
    »Gib mir den Haustürschlüssel. Ich fahre. Ich verpasse nur eine normale Stunde Musik.«
    Er lachte, schüttelte den Kopf. »Anna Leemann, du glaubst im Ernst, ich würde dir meinen Haustürschlüssel geben?«
    »Ich glaube«, sagte sie, »dass du noch sieben Minuten bis zu deiner Klausur hast und dass du das verdammte Abi machen willst. Ich fresse keine kleinen Kinder. Oder nur sehr selten. Gib mir den Schlüssel.«
    Es würde nicht funktionieren. Er würde sie für verrückt erklären und selbst fahren. Natürlich würde er selbst fahren, sie wusste es ja. Er sagte: »Du bist verrückt. Völlig.« Er stieg vom Rad.
    »Noch sechs Minuten bis zur Klausur«, sagte Anna.
    »Es ist der runde«, sagte Abel und meinte den Schlüssel. Sie schloss die Hand darum.
    »Nimm mein Rad. Kennst du den Aldi im Ostseeviertel? Wir wohnen in der Amundsenstraße, das ist gleich dahinter. Nummer 18. Man muss hinter den Parkplätzen in den Hof …«
    »Ich bin durchaus fähig, Hausnummern zu lesen.« Anna lächelte. »In welche Schule geht sie? Ich meine nur … falls sie die Sache mit dem Schlüssel gemerkt hat und auf dich wartet, weil sie denkt, du holst sie ab, oder …«
    Abel runzelte die Stirn. »Ich hole sie nur freitags ab«, sagte er, und dann: »Kennst du die Grundschule beim Volksstadion? Man muss gegenüber der Tanke an der Wolgaster rein. Irgendwo zwischen der Schule und der Amundsenstraße 18 wirst du Micha finden. Gib ihr nur den Schlüssel, sie kommt alleine rein.«
    »Beeil dich«, sagte Anna. Sie sah ihm nach, wie er über die leichte, weiße Schneeschicht des Schulhofs ging. Als sie schon auf dem zu hohen Sattel saß, drehte er sich um. Er rief etwas. Sie verstand es nicht, der Schnee dämpfte die Geräusche. Vielleicht hieß es »Danke«.
    Weder Anna noch Abel sahen, dass Bertil sie durch die Glaswand des Kollegstufenzimmers beobachtete.
    Anna fuhr zuerst zu Michas Schule. Es erschien ihr logischer. Sie fragte sich, wie sie ihr Fehlen im Musikkurs erklären würde. Magnus könnte ihr ein Attest schreiben. Wie würde sie Magnus ihr Fehlen erklären?
    Der Netto-Parkplatz und auch die Schule sahen im Schnee ganz anders aus, friedlicher, sauberer, freundlicher. An diesem Tag tobten eine Menge bunte Kinder davor herum und bewarfen sich mit Schneebällen. Niemand hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Anna sah sich nach einer rosa Daunenjacke mit falschem Pelzkragen um, fand aber keine. Sie entdeckte eine blondlockige junge Frau, die aussah, als könnte sie eine Lehrerin sein, und bahnte sich einen Weg durch die bunten, Ball werfenden Kinder.
    »Entschuldigung«, sagte sie, »ich suche Micha … Micha Tannatek. Ihr Bruder hat mich geschickt, um sie abzuholen. Sie hat ihren Haustürschlüssel vergessen.«
    »Ach, Micha«, sagte die junge Frau. »Ja, Micha ist in meiner Klasse. Geht sie immer alleine nach Hause?«
    Das geht Sie gar nichts an, wollte Anna sagen, und es hörte sich in ihrem

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