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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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die er nicht mochte, seine Brille hatte die Angewohnheit, ihm auf die Nase zu rutschen, und er selbst hatte die Angewohnheit, sie dort zu vergessen und halb blind darüber hinwegzusehen, als wäre er grundsätzlich in Gedanken versunken. Was er vielleicht auch war. Anna mochte Bertil. Aber sie hatte heute keine Zeit für ihn. Weder für ihn noch für irgendwelche mathematischen Beweise.
    »Das mit Mathe war deine Idee«, sagte er. »Du wolltest den Stoff durchsprechen, nicht ich.«
    »Ja, ich … ich will es immer noch«, sagte Anna. Mathe gehörte zu den Dingen, die sie tatsächlich nicht begriff, und sie war zu sehr Anna Leemann, um eine schlechte Note im Abi kampflos hinzunehmen. »Aber, Bertil, es geht heute einfach nicht. Es ist etwas dazwischengekommen.«
    Bertil schob seine Brille hoch. »Etwas oder jemand, Anna?« Er sah so ernst aus. Als kenne er jeden einzelnen Gedanken in Annas Kopf, jede Sorge.
    »Jemand«, sagte sie. Er kannte ihre Gedanken nicht, was für ein Unsinn. Sie schenkte ihm ein Lächeln. »Meine Flötenlehrerin. Siehat mich in der Mittagspause angerufen, um unseren Termin diese Woche vorzuverschieben. Ich hatte es über Mathe ganz vergessen.«
    Bertil nickte. »Vergiss nicht, bei Gelegenheit den Sattel am Fahrrad deiner Flötenlehrerin herunterzustellen«, murmelte er. »Es ist ein Schnellspanner. Sah gefährlich aus letztes Mal.«
    Anna schüttelte den Kopf. »Bertil Hagemann«, sagte sie. »Mach eine Pause vom Lernen. Du redest wirr.«
    Sie spürte, dass sie rot geworden war. Knallrot wie ein ertapptes Kind. Natürlich wusste sie, von wessen Fahrrad Bertil gesprochen hatte.
    Anna fuhr zuerst nach Hause, denn sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass Bertil irgendwo in der Nähe war und sie beobachtete, obwohl sie ihn nicht sah. Sie drehte sich auf dem Heimweg mehrfach um und sagte sich, dass sie paranoid war. Warum sollte Bertil sie verfolgen? Dennoch legte sie ihren Rucksack drinnen in den Flur und holte den Kasten mit der Querflöte und ihre Noten von oben aus ihrem Zimmer. Paranoid. Völlig. Sie fuhr zwei Straßen in Richtung der Flötenlehrerin, obwohl sie nicht einmal wusste, ob Bertil wusste, wo die Lehrerin wohnte. Paranoid. Schluss jetzt! Es war fünf Minuten nach fünf. Sie bog auf die Wolgaster Straße ab.
    Als sie die Abzweigung nach Wieck erreicht hatte, hatte es wieder begonnen zu schneien.
    Das Utkiek lag auf der anderen Seite der Brücke, wo die Mole weiter hinausreichte, ganz vorne, beinahe im Wasser. Es war ein Schiff aus Glas, ein Schiff voll von Stühlen und kleinen Lampen mit biegsamen, neugierigen Hälsen. Anna hatte gedacht, es hätte im Februar nur an den Wochenenden offen, doch das Café war wie ein Tier, es änderte seine Vorlieben, in diesem Fall für Öffnungszeiten,beliebig oft und ohne erkennbaren Sinn. Als Anna den Schnee aus ihrer Mütze schüttelte, war es auf der großen Uhr des Utkieks halb sechs. Sie hatte das Gefühl, zum wichtigsten Termin ihres Lebens zu spät zu kommen.
    Das Märchen hatte ohne sie begonnen, die kleine Königin war auf ihrem grünen Schiff weitergesegelt, ohne Anna mitzunehmen, war vielleicht davongesegelt, uneinholbar … da saßen sie. Ganz hinten, oder ganz vorn, je nachdem, dort, wo man die Beine schon im Wasser zu haben glaubte, im Bug des Cafés. Micha hatte ihre rosa Jacke in einem unordentlichen Haufen über den Stuhl gehängt und ihre Hände um die Kakaotasse gelegt. Sie saßen sich gegenüber, hatten sich vorgebeugt und flüsterten wie Verschwörer. Es gab eine Menge kleiner Tische mit zwei Stühlen. An Abels und Michas Tisch jedoch gab es einen dritten Stuhl und dieser Stuhl war frei. Da begann es in Anna zu singen und sie vergaß ihre Sorgen und ihr schlechtes Gewissen und Mathe und Bertil. Sie ging zu dem Stuhl, zwischen allen Wintertouristen hindurch, ohne den Boden mit den Füßen zu berühren. Als sie fast da war, sahen Abel und Micha auf.
    »Siehst du?«, sagte Micha. »Ich hab dir gesagt, sie kommt.«
    Abel nickte.
    »Anna«, sagte er, wie um sicherzugehen, dass sie nicht jemand ganz anderes war.
    »Ja«, sagte sie. »Ich … ich habe mich beeilt, ich … hallo, Micha. Guten Tag, Frau Margarete.«
    Micha ließ Frau Margarete, die am Zuckerstreuer lehnte, huldvoll nicken. »Frau Margarete ist schon ganz ungeduldig«, sagte sie. »Können wir jetzt anfangen?«
    Anna setzte sich. Sie hatten auf sie gewartet. Sie hatten wirklich auf sie gewartet.
    »Abel hat gesagt, wenn du um sechs nicht da bist, dann fangen wir so

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