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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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abgekriegt.«
    »Kannst du es bewegen?«
    »Das Stuhlbein?« Abel versuchte zu lachen. Er versuchte, seine Hand zu bewegen. »Geht schon. Shit! Nein.«
    »Geh zum Arzt«, sagte Anna.
    »Quatsch!«, sagte Abel.
    Anna nahm seine Hand und tastete nach der Schwellung.
    »Kühl es wenigstens. Tiefkühlerbsen funktionieren ganz gut.«
    »Muss ich die essen?«
    »Spritzen«, sagte Anna.
    Es war gut, zu lachen. Es war gut, auf einem Sofa zu sitzen und sich ein wenig zu nahe zu sein und zu lachen. Er hatte seine Hand nicht weggezogen, diesmal nicht. Der Moment zog sich in die Ewigkeit, ein Moment, in dem nichts geschah, das Lachen war verebbt, sie saßen einfach nur da, und das reichte völlig, niemand musste irgendetwas tun oder sagen …
    Annas Handy klingelte, und Abel zuckte zusammen und stand auf, als wäre ihm eingefallen, dass er plötzlich dringend irgendetwas zu tun hatte. Die Nummer war die von zu Hause. Eine blaue Nummer voller Rosen. Anna seufzte und hob ab.
    »Es geht mich ja nicht direkt etwas an«, sagte Linda, »aber wo steckst du?«
    »Ich bin von einem Serienmörder gekidnappt worden«, antwortete Anna. »Ihr könnt das Lösegeld an Gitta überweisen.«
    »Ach so«, meinte Linda, bemüht lässig. »Wann lässt sie dich frei?«
    »Gitta«, fragte Anna Abel, »wann lässt du mich frei?« Und zum Telefon sagte sie: »Ich denke, jetzt. Ich bin auf dem Weg.«
    »Na dann«, sagte Linda und legte auf. Sie war nicht halb so unbesorgt, wie sie tat.
    Abel schüttelte den Kopf. »Wenn ich jetzt Gitta bin …«
    »Hätte ich die Wahrheit sagen sollen?«
    »Nein. Ich glaube nicht, dass man es in dem Haus voll blauer Luft gern sieht, wenn Anna Leemann mit dem polnischen Kurzwarenhändler herumhängt. Im Übrigen spreche ich genau drei Worte Polnisch.«
    »Zwei Worte mehr als ich«, sage Anna. »Ich habe nicht deswegen gelogen. Ich dachte, du wolltest nicht, dass … in dem Haus voll blauer Luft … da hätte man nichts dagegen. Sie sind anders dort, als du denkst.«
    Abel wandte sich ab, um die Gläser einzusammeln.
    »Geh jetzt«, sagte er.

8
    Damokles
    Sie überlegte den ganzen Sonntag, ob sie noch einmal hinausfahren sollte. Nachsehen, ob alles in Ordnung war. Anrufen. Sie hatte keine Nummer. Sie kam erst spät darauf, woher Abel die ihre hatte: Der Leuchtturmwärter besaß alle Handynummern seines Deutschkurses. Für Notfälle, hatte er gesagt, NOTFALL und ANNA hatte Abel an den Spiegel geschrieben … Sie war nahe daran, den Knaake anzurufen und ihn nach Abels Handynummer zu fragen.
    »Entschuldigen Sie, dass ich Sie am Sonntag störe, aber Abel Tannatek hat eine Packung Ecstasytabletten in meinem Rucksack vergessen, und ich glaube, ein halbes Gramm Heroin …«
    Sie legte das Handy zurück aufs Bücherregal und rief nicht an.
    Später dachte sie, wenn sie es getan hätte, wenn sie mit ihm gesprochen hätte, an jenem Sonntag – aber wen interessiert schon später ? Später ist immer zu spät.
    Sie lernte Mathe. Sie arbeitete die Lektüreliste für Deutsch weiter ab, sie lag mit irgendeinem Reclamheftchen auf dem Sofa im Wohnzimmer, ohne zu merken, was sie las. Sie übte Querflöte. Die Musik kam in ihren Gedanken in letzter Zeit zu kurz, sie war wichtig, sie war ihr Lebensinhalt gewesen, oder ein Lebensinhalt, sie durfte sie nicht vernachlässigen wie einen abgelegten Liebhaber … Die Flöte nahm ihr nichts übel. Sie lag klar und kühl in ihren Händen wie immer und verstand, warum Anna sich an diesem Sonntag dauernd verspielte.
    Nur Magnus und Linda wunderten sich.
    »Liegt dir etwas auf der Seele, mein Mädchen?«, fragte er. »Ist es wieder die Welt? Oder diesmal etwas anderes?«
    Anna schüttelte nur den Kopf und lächelte. »Eine andere Welt«, antwortete sie.
    Und am Montagmorgen blätterte Magnus in der Ostseezeitung und sagte: »Chicago.«
    »Chicago?«, fragte Linda mit einem leisen Lächeln und goss Tee nach. »Verreisen wir?«
    Magnus legte die Zeitung auf den Tisch, wo sie eigentlich keinen Platz hatte, und Linda legte eine schmale Hand auf die hellblaue Keramikbutterdose, um sie vor dem Absturz zu retten.
    »Wir brauchen gar nicht zu verreisen«, sagte Magnus und pfiff auf eine gewisse Art anerkennend durch die Zähne. »Chicago ist schon hier. Hört mal: Streit in Kneipe endet tödlich . Nach einer heftigen Auseinandersetzung im Schönwalder ›Admiral‹ wurde Rainer L.  – Klammer: einundvierzig – am Sonntagmorgen tot zwischen den parkenden Autos gefunden. Ein Anwohner entdeckte die

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