Maerchenerzaehler
Antwortenden an Land‹, sagte diekleine Königin. ›Ich würde zu gerne einmal über ihre Insel laufen, nur um zu spüren, dass es das Land noch gibt.‹
Aber auch auf der Insel der Antwortenden war das Gedränge zu dicht; jeder wollte seine Antworten loswerden.
›Sieben Uhr!‹, rief einer von ihnen.
›Das macht fünfhundertundneunundzwanzig Komma sieben!‹, ein anderer.
Das Rosenmädchen schob den Fragenden sanft nach vorne. ›Hier kannst du deine Fragen loswerden!‹, sagte es.
›Aber wie soll ich bei so vielen Antworten die richtigen Fragen finden?‹, fragte der Fragende weinerlich, rannte in die Kajüte und versteckte sich zwischen den Eisbärfellen.
›Gutes zu tun!‹, antwortete ein Antwortender, ohne gefragt worden zu sein.
›Drei Minuten sprudelnd kochen, dann zehn Minuten ziehen lassen‹, antwortete ein anderer.
›Besser, wir versuchen gar nicht erst, hier an Land zu gehen‹, sagte der Seelöwe. ›Wir werden an Land gehen, wenn wir das Festland erreichen.‹
Aber ehe sie wieder ablegten, sprang einer der Antwortenden an Bord. Er ging schnurstracks in die Kajüte hinunter, wo der Fragende saß, und eine Weile hörte man Fragen und Antworten hin- und herschießen: ›Sagt er die Wahrheit?‹ ›Am dreizehnten März.‹ ›Ist er gut oder böse?‹ ›Unter den Buchen, wo im Frühjahr die Buschwindröschen wachsen.‹
Und dann sprang die Kajütentür auf und der Fragende und der Antwortende stürzten völlig verwirrt heraus. Einer von ihnen rannte zum Bug und einer zum Heck, dort kletterten sie über die Reling und hängten sich außen ans Schiff wie zwei Galionsfiguren,um sich ja nie mehr zu treffen. Das grüne Schiff jedoch nahm wieder Kurs auf das Festland. Sie lachten lange über den Fragenden und den Antwortenden. Dann sahen sie sich um und merkten, dass das schwarze Schiff ganz nah war. So nah, dass man vier dunkle Gestalten auf dem Bug erkennen konnte. Da hörten sie auf zu lachen.«
Abel sah in seine Tasse, rührte den kalten Kakao darin um und blickte aus dem Fenster, als hingen seine Gedanken noch den eigenen Sätzen nach.
»Die Brille, wisst ihr, die hatte der Leuchtturmwärter wahrscheinlich in der Tasche«, sagte Micha. »Das passiert Leuten. Meiner Lehrerin passiert es auch. Sie ist noch gar nicht so furchtbar alt, nur ein bisschen alt, dreißig oder so, aber sie hat schon eine Brille, und die vergisst sie immer. Übrigens wollte sie schon wieder mit Mama reden, ich weiß gar nicht, warum. Aber, Abel, als der rote Jäger auf das Schiff gekommen ist, da hab ich ihn doch reingelassen, ich meine, in Wirklichkeit?«
Abel nickte. »Das hast du.«
»Und jetzt, jetzt darf ich keinen mehr reinlassen, stimmt’s?«
»Das stimmt.«
Micha nickte zufrieden. »Siehst du, und genau das habe ich gemacht«, verkündete sie triumphierend. »Genau gerade gestern. Ich habe ganz vergessen, es dir zu erzählen.«
Abel setzte sich etwas gerader hin und seine Augen kehrten aus der Ferne zurück an den Tisch.
»Wen hast du nicht hereingelassen, Micha?«, fragte er und sah sie an.
»Keine Ahnung«, meinte Micha, »ich hab ihn ja nicht reingelassen. Er war aber schon oben vor der Tür, er hat in die Wohnung reingeredet, durch den Türspalt.«
»Was?«, fragte Anna.
Micha dachte nach. »Dass er von einem Amt ist, so was wie ein Zoo«, sagte sie. »Er hat es ganz deutlich gesagt, als wäre ich schwerhörig, immer wieder, und dass ich ihn reinlassen soll. So… Zoo… irgendwas. Noch ein Fisch. Ein Hering. Nee … ein Aal! Er war von einem Amt für Aale. Und der, weißt du, der wollte auch mit Mama reden. Unbedingt. Alle wollen mit Mama reden … Ich hab gar nichts gesagt, ich war ganz still, so als ob ich gar nicht da wäre.«
»Das … das hast du gut gemacht, Micha«, sagte Abel.
»Kann sein, ich hab gaaanz kurz Hallo gesagt, am Anfang«, murmelte Micha, und Anna lachte, obwohl ihr gar nicht lustig zumute war.
»So…Zoo…Aal…Amt«, sagte sie. »Sozialamt.«
»Genau!«, rief Micha. »Von da war der.«
Abel hob die Kakaotasse und kippte den Rest Kakao hinunter wie damals den Wodka. Dann legte er einen Moment lang beide Hände vors Gesicht, genau wie er es in dem Turm aus Zeitungspapier getan hatte, im Raum des Deutschkurses 1. Als ginge er in ein privates Zimmer, um sich zu sammeln. Als er die Hände wieder vom Gesicht nahm, trug er etwas wie ein Lächeln auf den Lippen, doch es war ein sehr angestrengtes Lächeln.
»Das schwarze Schiff ist noch da«, sagte er. »Ich habe nie
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