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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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irgendwie in das Märchen geschlüpft.«
    Sie war sich nicht sicher, ob sie ihm glaubte. Irgendetwas an der Michelle-Geschichte stimmte nicht. Sie dachte wieder daran, wie er sie nicht hatte hereinlassen wollen … Versteckte Abel seine Mutter in ihrer eigenen Wohnung? Aber wovor? Vor wem?
    Er ließ ihre Hand los. »Zeit, nach Hause zu fahren«, sagte er. »Pass auf dich auf, Rosenmädchen. Es soll noch kälter werden.«
    Er sah ihnen lange nach, wie sie auf ihren Rädern in verschiedene Richtungen davonfuhren. Und er erinnerte sich an den Tag, an dem er sie zuerst zusammen gesehen hatte, damals, in der Mensa. Er lächelte. Ihre Umrisse schienen zu strahlen, kitschig, mit Gold übergossen. Wie lange war es her, dass es in seinem eigenen Leben Geschichten mit strahlenden Rändern gegeben hatte, außerhalb der Literatur? Zu lange. Er erinnerte sich an eine solche Geschichte, die letzte, er erinnerte sich an den Geruch von Haar, an den betäubenden Geruch von billigem Shampoo, er hatte ihr ein anständiges geschenkt und später den Geruch des billigen vermisst … Er erinnerte sich an Gespräche über Dinge, die sie nicht verstanden hatte und die ihm zu viel bedeutet hatten … Er erinnerte sich an Musik von verkratzten Schallplatten, an Tanzen in einem winzigen Wohnzimmer, an ein altes Sofa und Träume, die später zerbrochen waren.
    Dance me to the children who are asking to be born
    Dance me through the curtains that our kisses have outworn
    Raise a tent of shelter now, though every thread is torn
    Dance me to the end of love
    Dance me to your beauty with a burning violin
    Dance me through the panic till I’m gathered safely in
    Touch me with your naked hand or touch me with your glove
    Dance me to the end of love …
    Und einen Moment lang wünschte er sich, wieder jung zu sein, jünger, ein wenig nur, alles noch einmal anders machen zu können … Faust. Aber nein, nein … nur keine Gretchenfragen hier.
    Und dann, ehe sie den Marktplatz verließen, Abel mit Micha in die eine und Anna in die andere Straße einbog, sah er ihre Schatten. Er hatte sie zuerst nicht bemerkt, hatte nur den Glanz gesehen, nur das Strahlen … doch ihre Schatten waren lang und schwarz. Natürlich lag es an der tief stehenden Sonne, natürlich bedeutete es nichts. Auf einmal hatte er Angst. Angst um diese beiden.
    Er hatte keine Kinder. Aber wenn er welche gehabt hätte, dachte er, wären sie jetzt vielleicht genauso alt. Und er müsste sich Sorgen um sie machen und würde nicht schlafen deshalb, er würde sich im Bett hin und her wälzen, er würde sie anschreien, wenn sie zu spät nach Hause kämen, oder vielleicht nicht, vielleicht würde er schweigen und sie schweigend verlieren. Es gab keinen Weg, dachte er, das Richtige zu tun, nicht für die eigenen Kinder.
    Es war besser, keine Kinder zu haben.
    Abel und Anna waren nicht seine Kinder, nur seine Schüler, verdammt, und dennoch nahm er die Angst mit nach Hause.
    Wer ist das? Das ist der Leuchtturmwärter.
    Der Leuchtturmwärter? Warum war er der Leuchtturmwärter? Welchen Leuchtturm wartete er und worauf wartete er dort?

9
    Bertil
    In dieser Nacht schlief sie mit dem Märchenerzähler.
    Nicht in Wirklichkeit. Sie träumte. Sie lag in ihrem Bett in dem Haus voll blauer Luft und träumte eine Zeitblase in Abels Märchen, die nie erzählt werden würde. Eine Nacht an Deck des grünen Schiffs. Die kleine Königin träumte ebenfalls, sie träumte zwischen ihren Eisbärfellen unten in der Kajüte, im Arm Frau Margarete, neben sich den Fragenden und den Antwortenden, die zum Schlafen doch hereingekommen waren, und den Leuchtturmwärter. Der Leuchtturmwärter schlief in seinen Stiefeln, die Brille ins graue Haar geschoben. Die kleine Königin lächelte im Traum. Vielleicht träumte sie von der Wirklichkeit jenseits des Märchens, von einem türkisfarbenen Eis auf dem Marktplatz, von Buchstaben im Dreck einer Scheibe.
    Anna stand ganz allein an Deck und sah die Sterne an. Sie fand den Großen und den Kleinen Bären, aber der Kleine Bär sah aus wie ein Hund und der Große wie ein Wolf. Sie fand den Jäger, aber es war nicht nur einer, es waren fünf – vier von ihnen, dachte sie, sind noch auf dem schwarzen Schiff. Vier von ihnen folgen uns noch. Vier von ihnen wollen uns fangen, ehe wir das Festland erreichen. Sie trat an die Reling und sah das Mondlicht auf den Wellen. Auf ihnen tanzten kleine Stücke von Eis. Das Meer würde gefrieren. Vielleicht schon bald. Aus den Wellen

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