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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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anschmiegsame Hand auf Hennes’ Arm. »Er kann so ziemlich alles besorgen. Wenn du was zu rauchen willst, wird er lachen. Das ist einfach, Kinderschokolade, das kriegst du nachgeschmissen. Er verdient allerdings nicht so viel dran, nehme ich an.«
    »Heute bin ich großzügig«, sagte Hennes und grinste. »Mir ist direkt nach Trinkgeld zumute. Was meinst du, nimmt unser polnischer Handelsabgeordneter ein Trinkgeld?«
    Er schlüpfte in seine Skijacke und ging kurz darauf über den Hof, zwischen den Schneeflocken hindurch, und Gitta seufzte und sagte: »Die Flocken machen sich wirklich gut in seinem Haar. Du könntest diesen Mann einfach als Bild an die Wand hängen …«
    »Wenn er morgen Abend feiern will, vielleicht lässt er sich ja von dir an irgendeine Wand hängen«, meinte Frauke und lachte.
    »Das kommt darauf an, was er jetzt mit dem Polen abmacht und was er zu nehmen gedenkt«, meinte Gitta. »Anna, du kommst doch morgen Abend mit?«
    »Vielleicht«, sagte Anna.
    Sie sah Hennes neben Abel stehen bleiben, im Schneetreiben neben den Fahrradständern, sie sah Hennes’ leuchtende Skijacke, sein leuchtendes Haar, seinen aufrechten Gang und daneben Abel, die Hände tief in den Taschen des alten Parkas vergraben, die Mütze weit ins Gesicht gezogen, den Rücken gebeugt, ein dunkler Klumpen von einem Menschen, beinahe völlig in sich selbst verkrochen, beinahe verschwunden, ein hässlicher Fleck vor dem weißen Schnee. Sie sah Hennes mit Abel sprechen. Er nahm die Kopfhörer nicht aus den Ohren.
    »Man kann auch feiern, ohne irgendwas zu rauchen«, sagte Bertil. Anna zuckte zusammen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass er neben sie getreten war. Er sah Anna von der Seite an.
    »Was denkst du?«, fragte er.
    »Ich denke«, sagte Anna leise, »dass ich Hennes von Biederitz nicht mag.«
    Mathe lief gut. Anna dachte erst, sie wäre zu abgelenkt. All die Worte, die Abel seit Montag nicht zu ihr gesagt hatte, gingen ihr im Kopf herum. Sie sah ihn über dem Aufgabenblatt sitzen und schreiben. Mitten in der Arbeit zog er den schwarzen Kapuzenpullover aus und saß im T-Shirt da, und sie zwang sich, nicht hinzusehen, nicht nach der Narbe zu suchen, nicht an den Traum zu denken. Sie schaffte es, alle Aufgaben einigermaßen zu lösen. Sie erinnerte sichan Bertils geduldige Erklärungen, an den Blick hinter seiner Brille und an seine Stimme, die Stimme eines nachsichtigen Professors, und es war, als löste Bertil die Aufgaben für sie. Sie wollte das nicht denken, sie wollte gar nicht an Bertil denken, sie hasste diese Art, die er neuerdings hatte – diese Art, sich anzuschleichen.
    Aber in der Pause stand er als Einziger alleine herum, so wie meistens, er hatte nicht mitgeschrieben, er war in einem anderen Mathekurs – und da tat er ihr plötzlich wieder leid. Bertil, der alle Zahlen und Integrale und Statistiken begriff und dessen Brille schon wieder rutschte und dessen Seifenblase von innen beschlagen war. Und da ging sie zu ihm und bedankte sich noch einmal für seine Erklärungen und er lächelte.
    »Wenn wir heute Abend feiern«, sagte sie, »komm doch mit.«
    »Ich?«, fragte Bertil.
    Anna nickte. »Ja, du«, sagte sie, »aber tu mir einen Gefallen, und tauch nicht plötzlich irgendwo auf, ohne dass man dich kommen hört.«
    »Ich werde mich bemühen, aufzutreten wie ein Elefant«, sagte Bertil und grinste. Sie hatte ihn nie so glücklich grinsen sehen.
    Linda fragte nicht, wo Anna hinging, um mit den anderen zu feiern. Sie sagte nur: »Pass auf mit dem Rad, es ist verflixt glatt geworden.«
    »Meine Güte, die letzte Kursarbeit«, sagte Magnus.
    »Nur für Hennes«, sagte Anna. »Wir haben noch Geschichte, er ist im anderen Kurs …«
    »Und dann? Dann kommt direkt das Abi?«, fragte Magnus. »Gott, eben warst du noch im Kindergarten. Und jetzt fährst du nachts alleine in die Stadt. Weiß man denn, wann du wiederkommst?«
    »Irgendwann – ich weiß nicht. Nicht zu spät.«
    »Mitternacht«, sagte Magnus. »Spätestens.«
    Als sie ging, beugte er sich zu ihr hinunter – er war so viel größer als sie, noch immer – und sagte leise: »Was ist mit der Welt, die dir die ganze letzte Zeit über auf der Seele lag? Ist sie weg? Oder … kann es sein … triffst du die Welt heute Abend beim Feiern?«
    »Nein«, sagte Anna. »Die anderen sind völlig weltfremd.«
    Magnus betrachtete ihr Lächeln wie ein seltsames Bild.
    »Irgendwann erklärst du es uns, nicht wahr?«, sagte er. »Linda macht sich Sorgen, weißt

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